Neutropenie im Routine-Check

AML, CLL oder HIV?

Fällt im Blutbild beim Routine-Check eine Neutropenie auf, lohnt sich eine gründliche Untersuchung. Nicht selten sind Viren und Leukämien die Ursache, kaum aber solide Tumoren und Autoimmundefekte.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Eine Neutropenie im Blutbild sollte Ärzte hellhörig machen.

Eine Neutropenie im Blutbild sollte Ärzte hellhörig machen.

© nenovbrothers / fotolia.com

STOCKHOLM. Eine Neutropenie wird bei einer Routineuntersuchung mit komplettem Blutbild zwar nur selten festgestellt.

Einen Mangel an Neutrophilen sollten Ärzte jedoch als klares Warnzeichen betrachten - das Risiko für virale und vor allem hämatoonkologische Erkrankungen liegt umso höher, je weniger der Zellen sich im Blut nachweisen lassen. Darauf deuten nun auch Daten des Kopenhagener Differentialblutbild-Registers (CopDiff).

Eine dänisch-schwedische Forschergruppe um Dr. Jan Palmblad vom Karolinska-Institut in Stockholm hat Angaben zu Blutanalysen von über 370.000 Personen ausgewertet, die in den Jahren 2000-2010 an Routineuntersuchungen teilgenommen hatten (J Intern Med, online 21. Januar 2016).

Personen mit vorhergehender Chemotherapie sowie bekannten hämatologischen und onkologischen Erkrankungen waren von der Analyse ausgeschlossen worden. Lagen mehrere Blutuntersuchungen pro Patient vor, wurde eine davon zufällig ausgewählt.

Bei 89 Prozent befanden sich die Werte der Neutrophilen im Referenzbereich, bei 8,9 Prozent darüber und bei 2,1 Prozent darunter. Davon zeigten allerdings die meisten eine Neutrophilenzahl im subnormalen Bereich (> 1,5-1,8 x 109/l).

Manifeste Neutropenie bei 1 Prozent

Eine manifeste Neutropenie fiel insgesamt nur bei 1,0 Prozent auf. Von diesen hatten 76 Prozent eine milde (1,0-1,5 x 109/l) und 15 Prozent eine moderate (0,5-1,0 x 109/l) Form. Nur bei 114 Teilnehmern wurde eine schwere Neutropenie festgestellt (< 0,5 x 109/l).

Bei rund 500 Personen (0,1 Prozent) war schon in den Analysen zuvor ein Defizit aufgefallen - ihnen attestierten die Studienautoren eine chronische Neutropenie.

In den vier Jahren nach der Blutanalyse wurden bei 0,8 Prozent der Teilnehmer mit normalen Neutrophilenwerten schwerwiegende virale Erkrankungen nachgewiesen. Bei denen mit Neutropenie lag der Anteil um das Drei- bis Sechsfache höher. Am höchsten war er in der Gruppe mit moderater bis schwerer Neutropenie.

Auslöser für die Infekte waren bei jeweils einem Drittel der Teilnehmer Hepatitisviren. Bei jedem sechsten mit Neutropenie ließ sich die Infektion auf HIV zurückführen, nur halb so hoch war der Anteil in der Gruppe ohne Neutropenie.

Keine Häufung solider Tumoren

Ein ähnliches Bild ergab sich auch bei hämatologischen Tumoren. 0,4 Prozent der Teilnehmer mit Neutrophilen im Referenzbereich erkrankten an solchen Neoplasien, bei denjenigen mit Neutropenie lag der Anteil zwischen 2 und 38 Prozent.

Knapp vier von zehn Teilnehmern mit einer schweren Neutropenie hatten folglich ein hämatoonkologisches Leiden. Vor allem eine akute myeloische Leukämie (AML) und ein myelodysplastisches Syndrom (MDS) wurden gehäuft beobachtet.

Diese beiden Erkrankungen stellten mehr als die Hälfte der hämatologischen Tumoren bei den Neutropeniepatienten. Bei den erkrankten Teilnehmern mit normalen Neutrophilenzahlen dominierten hingegen Non-Hodgkin-Lymphome und die chronisch lymphatische Leukämie.

Ein Tumor wurde vor allem diagnostiziert, wenn die Neutropenie mit erhöhten CRP-Werten einherging. Dann war die Tumorrate rund vierfach höher als bei Neutropenie und normalen CRP-Werten.

Eine Häufung solider Tumoren und Autoimmunerkrankungen konnten die Forscher bei den Teilnehmern mit Neutropenie nicht feststellen.

Bis zum Januar 2012 waren rund 8 Prozent der Teilnehmer mit Neutrophilenzahlen im Referenzbereich gestorben, von denen mit schwerer Neutropenie hingegen mehr als die Hälfte (52 Prozent). Auch hier zeigte sich ein Dosiseffekt: Je niedriger die Neutrophilenzahl, umso geringer war die Überlebensrate in den folgenden Jahren.

Eine ausgeprägte Neutropenie, so die Wissenschaftler um Palmblad, ist ein klares Warnzeichen für virale und hämatoonkologische Erkrankungen. Doch schon bei subnormalen Neutrophilenzahlen sollten Ärzte eine ausführliche Diagnostik erwägen, vor allem mit Blick auf AML, CLL, Hepatitis und HIV.

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