Kritik vom Experten

Verordnen Deutschlands Ärzte falsche Antibiotika?

Kein Interesse an Penicillinen und Co.? Deutschlands Ärzte lieben vor allem Cephalosporine und Chinolone. Ein Experte sieht darin einen gefährlichen Trend.

Veröffentlicht:
Gefährliche Kolonien: Die hiesige Verordnungspraxis von Antibiotika könnte die Bildung von resistenten Keimen begünstigen, monieren Experten.

Gefährliche Kolonien: Die hiesige Verordnungspraxis von Antibiotika könnte die Bildung von resistenten Keimen begünstigen, monieren Experten.

© Linde Stewart / Getty Images / iStock

BERLIN. Niedergelassene Ärzte in Deutschland verordnen offenbar viel mehr orale Cephalosporine als anderswo. Auch die Chinolone werden immer beliebter. Für die Patienten ist das nicht ideal.

Professor Winfried Kern von der Abteilung Infektiologie des Universitätsklinikums Freiburg präsentierte beim Praxis-Update 2014 am Freitag (9. Mai) in Berlin aktuelle Zahlen zu den Verordnungshäufigkeiten von Antibiotika. Zwar sei Deutschland im Europavergleich beim Gesamtumfang der verordneten Antibiotika weiterhin vorbildlich weit hinten. Bei der Auswahl der Substanzen freilich sieht der Experte erheblichen Verbesserungsbedarf.

So habe sich seit 2006 die Gesamtmenge der in Deutschland verordneten oralen Cephalosporine verdoppelt. Fluorochinolone hätten um 17 Prozent zugelegt. Demgegenüber sinken die Verordnungen von konventionellen Penicillinen und Tetrazyklinen.

"Insbesondere Cefuroxim hat sich zu des deutschen Arztes liebstem Kind entwickelt", konstatierte Kern. Bei unter 15-jährigen Patienten sei fast jedes zweite verordnete Antibiotikum ein orales Cephalosporin. Bei Menschen über 70 machten orale Cephalosporine und Fluorochinolone zusammen mehr als die Hälfte der Verordnungen aus.

Gute Gründe für Penicilline

Mit dieser Praxis ging Kern hart ins Gericht: "In den Niederlanden werden von niedergelassenen Ärzten praktisch gar keine oralen Cephalosporine verordnet", sagte er. Und fast überall sonst sei die Verordnungsquote deutlich geringer als in Deutschland.

Kern sieht mehrere gute Gründe, lieber Penicilline oder Aminopenicilline einzusetzen. Zum einen sind sie billiger. Und zum anderen sei die Bioverfügbarkeit von Cefuroxim mit 40 bis 60 Prozent schlechter als bei Amoxicillin. Das führt zu höheren Risiken von Resistenzen und von Clostridium-difficile-Infektionen (CDI).

Auch die in Deutschland ebenfalls beliebten Chinolone sind in dieser Hinsicht problematisch: "Die intensive Gabe von Chinolonen und Cephalosporinen in Deutschland hat die ungünstige Entwicklung der CDI-Epidemie mit verursacht", so Kern.

Auch in puncto Wirksamkeit schneiden konventionelle Penicilline besser ab. So sei die Zeit, in der sich die Serumkonzentration oberhalb der Hemmkonzentration befindet, bei Cefuroxim in der Standarddosis deutlich geringer als bei Amoxicillin.

Über Leitlinien erklären lässt sich die Vorliebe der Deutschen speziell für Cefuroxim jedenfalls nicht: "Die Substanz taucht in keiner Leitlinie als primäre Therapieempfehlung auf. Sie gilt immer nur als Reserveoption bei Allergie", sagte Kern. In der aktuellen S3-Leitlinie zur Pneumonie seien die oralen Cephalosporine sogar ganz rausgeflogen, so der Experte. Auf Amoxicillin als erste Wahl folgen dort Makrolide und Fluorochinolone. (gvg)

Mehr zum Thema

Viele Studien, wenig Evidenz

Phagentherapie – der lange Weg in die klinische Anwendung

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“