H7N9

Forscher wollen neues Pandemie-Virus züchten

Zwei Forschergruppen haben bereits das Vogelgrippe-Virus H5N1 im Labor so verändert, dass es im Prinzip auch zwischen Menschen übertragbar ist und eine Pandemie auslösen könnte. Jetzt haben sie Ähnliches mit H7N9 vor.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
H7N9 bricht aus der Zelle aus: Forscher wollen dem Virus die Fähigkeit zur Pandemie beibringen.

H7N9 bricht aus der Zelle aus: Forscher wollen dem Virus die Fähigkeit zur Pandemie beibringen.

© Takeshi Noda / University of Tokyo / Science Express

ROTTERDAM/ATLANTA. Die Diskussionen und Debatten vor einem Jahr waren heftig: Damals hatte der niederländische Virologe Ron Fouchier von der Erasmus-Universität in Rotterdam ein Kochrezept zur Herstellung von Pandemie-Viren vorgestellt.

Er hatte durch gezielte genetische Veränderungen das tödliche, aber auf Menschen nur schwer übertragbare H5N1-Vogelgrippe-Virus in einen Erreger verwandelt, der sich ebenso leicht wie ein saisonales Grippevirus zwischen Säugern ausbreiten kann.

Zuvor hatte sein Kollege Professor Yoshihiro Kawaoka von der Universität in Wisconsin dasselbe Ziel erreicht, in dem er manipulierte H5N1 mit dem Schweingrippevirus von 2009 kreuzte.

Die Forscher führten dabei jedoch nichts Böses im Schilde, sondern wollten damit in erster Linie beweisen, dass H5N1 in der Lage ist, sich an Menschen anzupassen und eine Pandemie auszulösen - das war zuvor immer wieder bezweifelt worden.

Zudem wollten sie wissen, welche Veränderungen das Virus in die Lage versetzten, von Vögeln auf Menschen oder andere Säuger überzuspringen. Sind solche Veränderungen bekannt, lässt sich mit Kontrollprogrammen möglicherweise früh erkennen, ob eine Pandemie ansteht.

Die Erkenntnisse von Fouchier und Kawaoka sollten also helfen, eine Pandemie zu verhindern oder sich zumindest besser auf sie vorzubereiten.

Pandemievirus 2.0?

Nun haben die beiden Virologen und ihre Teams in den Zeitschriften "Nature" und "Science" den Vorschlag gemacht, die Experimente mit dem neuen Vogelgrippevirus H7N9 zu wiederholen (Science 2013; 341:612-613).

Das Virus war im Frühjahr in China aufgetaucht, hat dort bislang 134 Menschen infiziert, 43 davon sind gestorben. Auch wenn seit Ende Mai kaum noch Neuinfektionen bei Menschen aufgetreten sind, so steht das Virus auf der Liste der möglichen Pandemie-Erreger ziemlich weit oben, nicht zuletzt, weil es bereits von Natur aus über mehrere Mutationen verfügt, die Fouchier und Kawaoka nach ihren Experimenten als essenziell für eine effektive Mensch-zu-Mensch-Übertragung erachten.

Fouchier und Kawaoka sprechen sich in einem Brief in den beiden Fachzeitschriften für gezielte "Gain-of-Function-Experimente" aus, bei denen die Viren durch Genveränderungen neue Eigenschaften erhalten.

Zum einen wollen sie schauen, inwieweit genetische Veränderungen die Immunogenität der Viren beeinflussen - das halten sie für wichtig, um bessere Impfstoffe herzustellen. Sie wollen natürlich auch herausfinden, ob ähnliche Genveränderungen wie bei H5N1 zu einer besseren Anpassung an Säuger führen und das Virus leichter übertragbar machen.

Diese Erkenntnisse könnten helfen, das pandemische Potenzial zirkulierender H7N9 zu ermitteln. Die Forscher schlagen zudem Versuche zur Pathogenität der Viren vor. Vermutlich würden die veränderten Viren anschließend an Frettchen getestet - die Tiere reagieren auf Influenzaviren in ähnlicher Weise wie Menschen.

Forschung unter Argusaugen von US-Behörden

Da die Experimente mit H5N1 heftige Wellen schlugen, machten Fouchier und Kawaoka nun selbst den Vorschlag, die Arbeiten an H7N9 streng zu überwachen und von Expertengremien genehmigen zu lassen.

Ihre Forschungen zu H5N1 waren zum Teil scharf kritisiert worden. Zum einen wurden Sicherheitsrisiken bemängelt - man befürchtete, aus dem Labor entwichene Viren könnten unbeabsichtigt eine verheerende Pandemie auslösen.

Andere glaubten wiederum, böswillige Zeitgenossen könnten nun selbst ein Supervirus bauen, nachdem die Forscher ihre Kochrezepte zur Erzeugung von Pandemieviren im Detail veröffentlicht hatten.

Auf den Vorschlag von Fouchier und Kawaoka haben das US-Gesundheitsministerium, die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sowie das National Institute of Health (NIH) bereits mit einer Stellungnahme in "Science"reagiert (Science 2013, ePub 7.August 2013).

Wer öffentliche Gelder für Forschungen haben will, bei denen Übertragbarkeit und Pathogenität von H7N9 manipuliert werden, muss sich in den USA künftig einem verschärften Kontroll- und Genehmigungsprozedere unterziehen.

Dabei soll ein multidisziplinäres Expertenpanel aus Forschern, Gesundheits- und Ethikexperten sowie Juristen eine Risiko-Nutzen-Abwägung vornehmen. Im Kern geht es um die Frage, ob die Experimente einen Nutzen für die Gesellschaft versprechen und die Forscher entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben.

Immerhin wird inzwischen nicht mehr - wie noch vor einem Jahr - über ein generelles Verbot solcher Experimente diskutiert. In ihrem Statement bekräftigen die drei US-Behörden, dass Gain-of-Function-Experimente wichtige Informationen darüber liefern können, wie sich Influenzaviren an Menschen anpassen, zur Erkrankung führen und auf andere Wirte ausbreiten.

In ihrem Statement bezeichnen auch Fouchier und Kawaoka die Forschung an Vogelgrippeviren praktisch als alternativlos: "Die Gefahr einer Pandemie durch ein Vogelgrippevirus ist in der Natur vorhanden. Um Schlüsselfragen zu beantworten, die für die öffentliche Gesundheit wichtig sind, sind möglicherweise auch Gain-of-Function-Experimente nötig. Diese sollten dann auch gemacht werden."

Kritik aus China

Das sehen aber nicht alle Experten so. So warnt der Leiter der chinesischen CDC, Dr. Zeng Guang, eindringlich vor den Versuchen. Guang hatte im Frühjahr alle Hände voll mit der Bekämpfung von H7N9 zu tun.

"Aus Sicht der Sicherheit der ganzen Menschheit sind solche Experimente nicht tragbar. Es gibt keine Mechanismen, die hier eine absolute Sicherheit gewährleisten", so Guang in einem Interview.

Er bezweifelt zudem den Nutzen der Experimente: Es sei alles andere als klar, ob sich Viren in der Natur ähnlich verhalten wie im Labor, ob also die künstlich erzeugten gefährlichen Mutationen auch in der Natur passieren. "Es reicht, das existierende Virus zu untersuchen - auch, um sich auf den nächsten Ausbruch vorzubereiten."

Die Debatte um künstliche Pandemieviren dürfte also in eine neue Runde gehen.

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Kommentare
Rita Lüdecke 08.08.201315:18 Uhr

Pandemie als Geschäftsidee

Das Prinzip solcher "Forschung" scheint einfach: erst produziere ich eine Krankheit, dann entwickle ich einen Impfstoff - und verdiene gut ...

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