Psychotests können Krebspatienten stigmatisieren

Von Karlheinz Schneider Veröffentlicht:

Deutliche Kritik an der psychoonkologischen Forschung übte Professor Peter Herschbach beim Symposium "Psycho-Onkologie - Perspektiven 2004" in München. Der Leiter der Abteilung für psychosoziale Onkologie des Klinikums rechts der Isar der TU München kritisierte vor allem die Klassifizierung des psychischen Befindens der Krebskranken nach psychiatrischen Diagnosekriterien (ICD/DSM).

Dabei seien Patienten mit Tumoren nach aller klinischer Erfahrung diesbezüglich keineswegs häufiger betroffen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Deshalb sei die Verwendung psychiatrischer Termini nicht nur stigmatisierend, sondern auch wissenschaftlich gesehen abwegig.

Fragebögen können Krebspatienten verunsichern

Auch in psychologischen Fragebogen gestellte Fragen, die für Krebskranke nicht relevant seien, könnten die Patienten verunsichern. Was solle zum Beispiel ein Patient, der wegen eines Magen-Karzinoms gastrektomiert wurde, von der Frage halten: "Ich habe manchmal ein ängstliches Gefühl in der Magengegend"?

In dem Fragebogen SCL 90 kommt die Frage vor: "Wie oft litten Sie in den letzten drei Tagen unter dem Gedanken, daß etwas ernstlich mit Ihrem Körper nicht in Ordnung ist?" Diese Frage, einem Krebskranken gestellt, verschaffe ihm bei einer bejahenden Antwort einen Punkt mehr in Richtung Psychopathologie, betonte Herschbach.

Unter anderem deshalb äußerte Herschbach starke Zweifel an den Ergebnissen psychoonkologischer Studien, die mit Hilfe psychiatrischer Diagnostik oder unspezifischer psychologischer Tests zustande kamen.

Auf der anderen Seite, so Herschbach, werden tatsächliche emotionale Belastungen, die häufig bei Krebskranken vorkommen, nicht thematisiert, etwa der "Krankenhauskoller" nach langer Liegezeit oder Aggressivität gegen behandelnde Ärzte. Aber auch mangelnde Krankheitsakzeptanz, spezifische Verleugnung oder Realängste, wie etwa die Angst vor dem Fortschreiten der Erkrankung, die Angst vor einem nochmaligen Krankenhausaufenthalt, die Angst davor, sich schlapp und kraftlos zu fühlen und seinen Hobbies nicht mehr nachgehen zu können und vieles mehr sind Probleme von Tumorpatienten.

Prävalenz-Zahlen zu psychischer Komorbidität schwanken stark

All diese methodischen Mängel könnten dazu führen, daß Patienten, die seelisch stark unter ihrer Krankheit litten, unter Umständen keiner psychoonkologischen Behandlung zugeleitet werden, weil auf sie keine psychiatrische Diagnose zutreffe.

Herschbach kritisierte auch die widersprüchliche Datenlage zur Frage der Prävalenz psychiatrischer Komorbidität in der wissenschaftlichen Literatur. Die Angaben reichten von 1,5 bis 50 Prozent der Patienten, was völlig inakzeptabel sei.

Klassische Psychotherapie auch für Krebskranke?

Die psychiatrische Diagnostik suggeriere außerdem, daß die klassischen Psychotherapieverfahren bei Krebskranken indiziert seien, sagte Herschbach. Dies sei falsch, denn die Psychotherapie von Patienten mit Krebs unterscheide sich ganz grundlegend von der Psychotherapie zum Beispiel neurotischer Patienten. Die Unterschiede beträfen zum Beispiel das Zeitmanagement und die Therapieziele.

Außerdem müßten tumorbedingte körperliche Einschränkungen berücksichtigt werden sowie medizinische Behandlungsfolgen, die persönlichen Umstände, etwa Familieneingebundenheit sowie der Umgang mit der persönlichen Betroffenheit, also mit Trauer und Angst.

Lesen Sie dazu auch: Die Psycho-Onkologie ist tot - es lebe die Psycho-Onkologie!

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