Krebsforscher forcieren Suche nach spezifischen Therapien

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Was ist Krebs? Für die Antwort auf diese Frage setzten französische Fachgesellschaften im 18. Jahrhundert einen Preis aus. Gewonnen hat ihn der Chirurg Bernard Peyrilhe im Jahr 1774. Er hatte Tumorgewebe von Menschen auf Hunde übertragen. Damit war zwar die Frage nicht wirklich beantwortet, aber immerhin der Grundstein für die experimentelle Krebsforschung gelegt.

Heute sind etwa 300 verschiedene Tumorarten bekannt, und die Preisfrage würde vermutlich anders lauten: Welche Eigenschaften hat ein bestimmter Malignomtyp und wie ließe sich sein Wachstum am ehesten gezielt unterdrücken?

Die Entwicklung systemischer, aber spezifischer Therapien gegen Krebs gehört zu den wichtigsten aktuellen Forschungszielen in der Onkologie. 22 von 152 Substanzen, die derzeit bei dem Unternehmen Pfizer entwickelt werden, sollen Tumorwachstum stoppen, hieß es bei einem Medienworkshop des Unternehmens im Sandwich in Großbritannien. Dort werden schon seit 1954 neue Produkte entwickelt.

Tumorhemmung durch die Chemotherapie wird gesteigert

Bereits in der klinischen Phase II sind zwei Entwicklungen für die Immuntherapie: Ein monoklonaler Antikörper gegen das Membranprotein CTLA4 und ein synthetisches Oligonukleotid - also ein DNA-Fragment mit wenigen Bausteinen -, das die Aktivierung des Toll-like-Rezeptor 9 (TLR9) verstärkt. TLR9 ist ein immunstimulierendes Protein und regt die Reifung und Vermehrung von Lymphozyten an, etwa von natürlichen Killerzellen, Makrophagen und Monozyten.

Wird der TLR9-Agonist zusätzlich zur Chemotherapie gegeben, lassen sich die tumorhemmenden Effekte der Zytostatika steigern, wie Dr. Raz Dewji, Direktor der Abteilung Forschung und Entwicklung im Bereich Onkologie bei Pfizer in Sandwich sagte. Der TLR9-Agonist werde derzeit bei Patienten mit Brust- und Lungenkrebs geprüft, aber auch mit anderen Tumortypen seien Studien geplant.

    Zwei Mittel zur Immuntherapie gegen Krebs sind in Phase II.
   

Das Membran-Eiweiß CTLA4 befindet sich auf der Oberfläche von T-Lymphozyten und drosselt die Aktivierung, Proliferation und Interleukin-2-Produktion dieser Immunzellen. Dadurch wird eine spezifische Immunantwort auf den Tumor unterdrückt. Diese für den Patienten ungünstige Regulatorfunktion von CTLA4 bremst der monoklonale Antikörper, den das Unternehmen derzeit entwickelt. Hauptindikation soll das maligne Melanom sein. Er wird aber auch für die Behandlung bei Brust-, Lungen- und Kolonkarzinomen getestet.

Monoklonale Antikörper gehören zusammen mit Tyrosinkinase-Hemmern zu den Wirkstoffen, mit denen das Prinzip einer zielgerichteten Krebstherapie klinisch belegt worden ist. Sunitinib ist ein von Pfizer entwickelter Tyrosinkinase-Hemmer, der bei der diesjährigen Jahrestagung der US-Krebsgesellschaft in mehreren Indikationen für Furore sorgte: Die Substanz verlängert die progressionsfreie Zeit bei Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom und bei Patienten mit gastrointestinalen Stromatumoren (GIST). Für beide Indikationen ist Sunitinib in den USA und in der EU jetzt zugelassen.

Nierenzellkarzinome sind häufiger als vermutet: Pro Jahr werden sie bei etwa 208 500 Menschen weltweit diagnostiziert, meist in fortgeschrittenen Stadien, wie Professor John Wagstaff vom South Western Wales Cancer Institute in Swansea in Großbritannien berichtete. Den auf dem US-Kongreß vorgestellten Daten einer Phase-III-Studie zufolge verlängerte Sunitinib bei Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom das progressionsfreie Überleben um 22 Wochen: von 25 Wochen unter Interferon-Therapie auf etwa 47 Wochen.

Auch bei Patienten mit GIST erhöht Sunitinib die Zeit bis zur Progression erheblich: von 8,5 Wochen (Placebo) auf mehr als 28 Wochen. In einer offenen Phase-II-Studie, an der therapierefraktäre Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom teilnahmen (Stadien IIIB/IV von vier Stadien) hatten immerhin 53 Prozent einen klinischen Nutzen von einer Monotherapie mit Sunitinib: die meisten durch Stabilisierung der Erkrankung mit einer mittleren Dauer von mehr als zwölf Wochen.



Krebs-Mittel mit Mehrfach-Effekt

Die meisten Substanzen, die für die zielgerichtete Krebstherapie entwickelt werden, haben mehrere Wirkmechanismen: Sie unterdrücken die Gefäß-Neubildung und machen Zellen empfindlicher für den programmierten Zelltod. Darüber hinaus modulieren sie intrazelluläre Signalübertragungswege und beeinflussen das Wachstum von Malignomen. Ein anderer Effekt: Sie aktivieren das Immunsystem tumorspezifisch. Manche Substanzen vereinen mehrere dieser Wirkmechanismen in sich, wie der Tyrosinkinase-Hemmer Sunitinib. Einige der neuen Wirkstoffe, die die Behandlung von Patienten mit Tumorkranken effektiver und verträglicher machen sollen, steigern schließlich die Wirksamkeit bereits bewährter Zytostatika. (nsi)

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