Interview

"Wir prüfen die onkologische Versorgung"

Am 28. und 29. Oktober findet in Berlin das 1. Europäische Forum Onkologie statt. Professor Peter Schlag, Direktor des Comprehensive Cancer Center der Charité Berlin, ist wissenschaftlicher Berater der Veranstaltung. Im Interview verrät er, was es mit der neuen Veranstaltung auf sich hat.

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Ärzte Zeitung: Warum braucht Europa - zwei Wochen nach der Tagung der Europäischen Krebsgesellschaft ESMO - einen weiteren internationalen Krebskongress?

Professor Peter Schlag: Das Besondere am Europäischen Forum Onkologie besteht darin, dass es eben nicht ein weiterer wissenschaftlicher Kongress ist. Natürlich sind beim Forum auch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse ein Thema. Die Veranstaltung bringt aber nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Politiker sowie Vertreter der Kostenträger und Gesundheitsindustrie zusammen. Sie spiegelt damit die Realität der onkologischen Versorgung wider, die ja nicht nur von Studienergebnissen abhängt, sondern auch ganz wesentlich davon, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in die Versorgungswirklichkeit umgesetzt werden. Diese onkologische Versorgungswirklichkeit kommt bei uns auf den Prüfstand. Denn hier gibt es ganz erhebliche Unterschiede, deswegen ist die europäische Perspektive auch so interessant.

Ärzte Zeitung: Wenn wir bei Europa bleiben: Wie sehen diese Unterschiede aus?

Schlag: Generell ist der Standard der onkologischen Versorgung in Europa natürlich relativ hoch. Aber er ist nicht überall gleich hoch. Wenn wir als Gastgeber die Szenerie einmal aus deutscher Perspektive betrachten, müssen wir schon konstatieren, dass wir weder bei den Heilungsraten noch bei den Überlebenszeiten die führende Nation in Europa sind. Wir sind nicht schlecht, aber wir könnten schon noch deutlich besser sein. Eines der Ziele des Europäischen Forums Onkologie ist, zu hinterfragen, woran diese Unterschiede liegen. Warum sind die Heilungsraten in Nordeuropa bei verschiedenen Krebserkrankungen höher als bei uns? Das liegt sicher nicht nur am Wetter.

Ärzte Zeitung: Es geht bei der Veranstaltung also um einen Vergleich von Versorgungskonzepten?

Schlag: Das ist das eine. Das zweite ist, dass konkret in Europa die Regularien der Europäischen Union zunehmend Einfluss haben auf die Organisation der onkologischen Versorgung. Da gibt es gute Ansätze, die aber vielen noch zu wenig bewusst sind, beispielsweise in den Bereichen Vorsorge und Früherkennung. Darauf wollen wir aufmerksam machen. Auf der Veranstaltung wird aber nicht nur die Politik, sondern auch die Medizin thematisiert. Es werden viele neue Entwicklungen zur Sprache kommen, verteilt über alle Säulen der Tumortherapie. Das ist übrigens auch etwas Besonderes: Wir reden nicht nur über Pharmakotherapie, sondern gleichberechtigt über die chirurgische und interventionelle Therapie, über die Radioonkologie und über die neuen immunologischen Ansätze inklusive Tumorvakzinierung.

Ärzte Zeitung: In Deutschland wird seit Ulla Schmidt viel Wind um einen nationalen Krebsplan gemacht. Ist das auch in anderen Ländern ein Thema?

Schlag: In Europa arbeitet fast jedes Land auf die eine oder andere Weise an einem Nationalen Krebsplan. Das ist auch ein wichtiges Thema bei dem Forum. Ich denke schon, dass diese Pläne etwas harmonisiert werden sollten, idealerweise so, dass die jeweils besten Ansätze umgesetzt werden. Ein Thema mit einem gewissen Bedarf an internationalem Austausch ist sicher auch der ganze Bereich Kosten-Nutzen-Bewertungen. Hier gibt es erhebliche Unterschiede, die natürlich auch damit zusammenhängen, wie viel Geld in einem Gesundheitssystem zur Verfügung steht - aber nicht nur. Dass in zwei vergleichbaren Industrienationen wie England und Deutschland eine Einrichtung wie das NICE teilweise zu ganz anderen Einschätzungen kommt als unser G-BA, finde ich schon diskussionswürdig.

Ärzte Zeitung: Können Sie uns ein paar Eckdaten zu der Veranstaltung geben? Wie viele Referenten werden erwartet, und auf welchen Vortrag würden Sie besonders hinweisen wollen?

Schlag: Wir werden an den zwei Tagen circa 50 Referenten in Berlin haben. Ein interessanter Vortrag ist sicher der von Professor Peter Boyle vom Internationalen Präventionsforschungsinstitut in Lyon. Er wird uns darüber informieren, wie sich Krebserkrankungen weltweit und im Speziellen in Europa derzeit entwickeln. Dass Krebs mit dem Alter häufiger wird, hat mittlerweile jeder begriffen. Aber das Alter ist sicher nicht der einzige Einflussfaktor auf die Krebsinzidenz. Am zweiten Tag redet dann Sandra Radoš Krnel von der EU über die Verzahnung nationaler Krebspläne mit der EU-Initiative zur Krebsbekämpfung. Professor Ulrik Ringbork vom Karolinska Institut wird über die raschere Umsetzung onkologischer Forschung berichten und Dr. Dirk Holler von AstraZeneca Versorgungsunterschiede analysieren.

Ärzte Zeitung: Ein Wort zur Zukunft der Veranstaltung?

Schlag: Die Tatsache, dass wir vom 1. Europäischen Forum Onkologie reden, deutet schon darauf hin, dass die Veranstaltung als Serie gedacht ist. Vorerst wird das Forum in Berlin bleiben. Unser Ziel wird sein, neben der ESMO und der Organisation of European Cancer Institutes OECI weitere große europäische Krebsorganisationen einzubinden. Am Ende des diesjährigen Forums soll von den Teilnehmern ein Memorandum verabschiedet werden, das sechs bis acht gemeinsame Handlungsfelder benennt. Die werden dann bei der Nachfolgeveranstaltung im Jahr 2011 wieder aufgegriffen.

Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz.

Zur Person: Peter M. Schlag

Aktuelle Position: Professor Dr. Dr. Peter M. Schlag ist seit Mai 2008 Direktor des Charité Comprehensive Cancer Center.

Werdegang/Ausbildung: Schlag hat seine chirurgische Ausbildung an der Universität Ulm gemacht.

Karriere: Nach USA-Aufenthalten leitete er die Chirurgische Onkologie an der Universität Heidelberg. Schlag ist seit 1992 Professor an der Humboldt Universität Berlin. Seit 2001 war er der Medizinische Direktor des Robert-Rössle Krebszentrums.

Das Forum Onkologie

Das Europäische Forum Onkologie 2010 findet am 28. und 29. Oktober in Berlin im Hotel Concorde statt. Das Forum ist mit 12 Fortbildungspunkten zertifiziert. Informationen und Anmeldung im Web: www.forum-onkologie.eu

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