Zumindest ein bisschen

Vitaminpillen schützen vor Krebs

Mit Vitaminpillen das Krebsrisiko senken - das funktioniert nicht, haben viele Studien ergeben. Eine Langzeitstudie hat nun aber einen kleinen Effekt festgestellt: Um 8 Prozent lässt sich damit die Krebsrate bei Männern drücken.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Zum Nutzen von Multivitaminpräparaten geben auch Langzeitstudien insgesamt ein widersprüchliches Bild.

Zum Nutzen von Multivitaminpräparaten geben auch Langzeitstudien insgesamt ein widersprüchliches Bild.

© cirquedesprit/fotolia.com

BOSTON. Und sie schützen doch - zumindest ein kleines bisschen, lautet das Urteil von Forschern aus Boston zu Vitaminpillen.

Damit dürfte die Diskussion um den Nutzen von Multivitaminpräparaten wieder etwas aufflammen, nachdem fast alle bisherigen kontrollierten Studien zu dem Ergebnis kamen, das die Pillen bestenfalls nicht zur Prävention von Krebs, Schlaganfall, Herzinfarkt oder Demenz taugen und schlimmstenfalls mehr schaden als nutzen (JAMA 2012; online am 17. Oktober).

Was die Krebsprävention betrifft, so dürfte die Untersuchung von Wissenschaftlern um Dr. Michael Gaziano von der Harvard Medical School das ramponierte Image der Vitaminpräparate wieder etwas aufpolieren.

Die Forscher haben eine neue Auswertung der Physicians‘ Health Study II vorgelegt, eine der größten und längsten Placebo-kontrollierten Interventionsstudien mit Vitaminpräparaten. Teilnehmer waren knapp 14.700 männliche US-Ärzte im Alter von über 50 Jahren.

Die Hälfte der Ärzte erhielt Placebo, die anderen Multivitaminpräparate. Zum Teil überschritten die Dosierungen der einzelnen Vitamine deutlich den empfohlenen Tagesbedarf.

Nach im Schnitt 11,2 Jahren waren knapp 19 Prozent der Ärzte gestorben, etwa 6 Prozent an Krebs. Eine Tumorerkrankung trat bei etwa 18 Prozent auf, die Hälfte davon waren Prostatakarzinome.

Schauten die Forscher nun nach der Krebsinzidenz, so gab es in der Vitamingruppe im Vergleich zu Placebo mit 17,0 versus 18,3 pro 1000 Personenjahre etwas weniger Tumoren - ein Unterschied von 8 Prozent.

Versuchten die Forscher nun das Ergebnis auf einzelne Tumorentitäten herunterzubrechen, so ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Probanden mit Vitaminen und Placebo, auch nicht beim häufigen Prostatakarzinom.

Wurden Tumoren der Prostata ausgeklammert, dann ließ sich mit Vitaminen immerhin eine um 12 Prozent niedrigere Inzidenz bei der Summe der übrigen Tumoren feststellen, woraus die Forscher schließen, dass Multivitamine zur Prävention von Prostata-Ca tatsächlich nichts bringen, aber offenbar bei anderen Tumoren.

Verschiedene Zeiträume und Dosierungen

Die krebsbedingte Sterberate war in der Vitamingruppe ebenfalls etwas niedriger (4,9 versus 5,6 pro 1000 Personenjahre), der Unterschied war hier aber nicht signifikant.

Etwas ausgeprägter war der Effekt bei den 1312 Männern, die zu Studienbeginn bereits schon einmal an Krebs erkrankt waren: Hier traten in der Vitamingruppe neue Tumoren zu 27 Prozent seltener auf als in der Placebogruppe.

Hinweise gab es zudem, dass der Schutzeffekt bei älteren Männern größer ausfällt: Bei den über 70-Jährigen war die Krebsinzidenz in der Vitamingruppe um 18 Prozent reduziert, statistisch allerdings nicht signifikant. Als Nebenwirkungen traten Hautausschläge in der Vitamingruppe etwa 7 Prozent häufiger auf als mit Placebo.

Insgesamt ergibt sich mit dieser Untersuchung ein recht widersprüchliches Bild. Unter den epidemiologischen Studien fand etwa die Women's Health Initiative mit 160.000 Frauen nach acht Jahren keinen Zusammenhang zwischen den wichtigsten Krebsarten und der Einnahme von Vitaminpillen, eine schwedische Studie mit 35.000 Frauen kam nach zehn Jahren auf eine um knapp 20 Prozent erhöhte Brustkrebsrate unter Multivitaminen, die Nurses' Health Study dagegen auf eine deutlich reduzierte Darmkrebsrate unter Vitaminkonsumentinnen.

Ein ähnlich heterogenes Bild zeigen auch Interventionsstudien: Die erste Auswertung der Physicians' Health Study II nach acht Jahren ergab keinerlei Effekte für Vitamin C und E, die SELECT-Studie stieß nach etwa fünfeinhalb Jahren sogar auf ein 17 Prozent erhöhtes Risiko für Prostatatumoren unter einer Präventionsbehandlung mit Vitamin E.

Zum Teil, so Gaziano und Kollegen, lassen sich die unterschiedlichen Resultate wohl durch unterschiedliche Zeiträume und Dosierungen der einzelnen Studien erklären. Sie plädieren dafür, möglichst lange Zeiträume zu wählen und Dosierungen, die auch bei im Alltag verwendeten Präparaten üblich sind.

Zugleich verweisen sie aber darauf, dass bei wohlgenährten Personen ohne Vitaminmangel der Nutzen einer Supplementierung mit relativ niedrig dosierten Vitaminen eher gering sind dürfte.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ernüchternde Langzeitdaten

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