Brustkrebs-Screening

Aggressive Tumoren gehen durch die Lappen

Offenbar kann das Mammografie-Screening aggressive Tumoren nicht vorzeitig aufspüren. Eine skandinavische Analyse lässt damit sogar Zweifel an der Wirksamkeit aufkommen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Frau bei der Mammografie: Wie viel bringt das Screening?

Frau bei der Mammografie: Wie viel bringt das Screening?

© Sven Bähren / fotolia.com

AARHUS/DÄNEMARK. Es ist wahrlich keine gute Nachricht für das Brustkrebs-Screening per Mammografie: Wie erwartet werden seit Einführung des Screenings zwar viele niedrigmaligne Tumoren aufgespürt, der Anteil der Frauen, die bei der Diagnose einen Grad-III- oder -IV-Tumor haben, sinkt nach skandinavischen Daten jedoch nicht. Dies war eigentlich erwartet worden.

Die Untersuchung lässt damit Zweifel aufkommen, ob sich die Brustkrebsmortalität durch das Screening nennenswert senken lässt (BJC 2016; 114: 590-596).

Screening ab 1995 implementiert

Wissenschaftler um Dr. Mette Lousdal von der Universität in Aarhus hatten sich Registerdaten zu Mammakarzinomen vor und nach Einführung des Screenings in Norwegen angeschaut. Dort war das Screening per Mammografie für Frauen im Alter von 50 bis 70 Jahren ab 1995 bis 2004 sukzessive implementiert worden.

Die Forscher konnten daher vier Kohorten unterscheiden: Frauen im Screeningalter vor und nach der Einführung der Früherkennungsmaßnahme sowie jüngere Frauen im Zeitalter vor und nach dem Beginn der Screening-Ära. Um Verzögerungseffekte zu berücksichtigen, wurden auch Frauen jenseits der 70 Jahre einbezogen, sofern sie im Untersuchungszeitraum das Screeningalter überschritten hatten. Dieser Zeitraum erstreckte sich von 1987 bis 2011.

Das Schicksal von Frauen mit Krebserkrankungen beobachteten die Forscher bis Mitte 2013. Rund drei Viertel der geeigneten Frauen hatten am Screening teilgenommen.

Im Verlauf von 35 Jahren kam es zu rund 50.000 Brustkrebserkrankungen, ein Viertel davon wurde bei Frauen diagnostiziert, die das Screeningalter noch nicht erreicht hatten. Bei diesen Frauen, die also alle nicht am Screening teilgenommen hatten, war die Inzidenz im Laufe der Jahre langsam gestiegen, von im Schnitt 80 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner und Jahr auf 90 im Screeningzeitalter.

Deutlicher Unterschied bei Frauen über 50 Jahren

Wesentlich deutlicher war der Unterschied bei Frauen über 50 Jahren, von denen der größte Teil am Screening teilgenommen hatte. Bei ihnen hatte sich nach Einführung des Screenings die Inzidenz von Mammakarzinomen um 77 Prozent erhöht: Von 189 auf 335 pro 100.000 Frauen und Jahr.

Die zusätzlichen Karzinome waren jedoch fast alle lokalisiert: So hatte sich die Zahl der aufgespürten Insitu- und Stadium-I-Karzinome im Vergleich zur Vor-Screening-Ära vervierfacht, die der Stadium-II-Tumoren verdoppelt. Solche Tumoren machten 87 Prozent aller Karzinome bei den Frauen über 50 Jahren in der Screening-Ära aus.

Die hohe Zahl der zusätzlich im frühen Stadium detektierten Tumoren änderte jedoch wenig an der Zahl der hochmaligen Karzinome, und das war die eigentliche Überraschung: Schließlich wäre zu erwarten, dass die Inzidenz von Tumoren im Stadium III und IV drastisch sinkt, wenn solche Tumoren durch das Screening bereits in früheren Stadien aufgespürt und entfernt werden. Tatsächlich war in der Screening-Ära die Inzidenz von Stadium-III- und -IV-Tumoren um 20 Prozent gesunken, allerdings sowohl bei den Frauen über als auch unter 50 Jahren - mit dem Screening hatte das wohl nichts zu tun.

Inzidenz hatte sogar zugenommen

Wurden Alter und Kalenderjahr berücksichtigt - das Screening hatten die Norweger ja über einen Zeitraum von zehn Jahren sukzessive eingeführt -, dann ließ sich überhaupt kein Rückgang der Inzidenz bei den fortgeschrittenen Tumoren feststellen, ganz im Gegenteil: Für solche Tumoren hatte die Inzidenz um rund ein Viertel zugenommen.

Diese Zunahme war bei den jungen, ungescreenten Frauen nicht zu beobachten, sie scheint damit ein Effekt der Präventionsmaßnahme zu sein. Berücksichtigten die Forscher um Lousdal noch die Zeitverzögerung für die Entwicklung von niedrig- zu hochmalignen Tumoren, änderte sich wenig am Gesamtbild: Die Inzidenz für In-situ-Tumoren lag mit dem Screening 3,5-fach höher, die für Stadium-I-Tumoren war um 80 Prozent erhöht, die für Karzinome im Stadium III und IV blieb mit einer Erhöhung um 12 Prozent relativ stabil.

Wurden die Inzidenzraten mit denen von jüngeren Frauen im selben Zeitraum verglichen, dann war der Anstieg der Brustkrebsinzidenz bei den 50- bis 70-Jährigen in der Screening-Ära bei In-situ-, Grad-I- und Grad-III/IV-Tumoren noch um jeweils 140, 60 und 8 Prozent erhöht. Dieser Vergleich ist wichtig, zeigt er doch, dass sich die erhöhte Inzidenz nur zum geringen Teil auf eine allgemein verbesserte Diagnostik oder Awareness zurückführen lässt.

Was lässt sich nun aus den Daten schließen? Offenbar wird trotz Screening noch immer bei ähnlich vielen Frauen ein fortgeschrittener Tumor diagnostiziert wie vor dem Screening. Die Hoffnung, dass solche Tumoren durch das Screening in einem weit früheren Stadium aufgespürt werden können, hat sich nicht erfüllt. Einige Experten vermuten, dass diese Karzinome oft besonders schnell und aggressiv wachsen und daher bei der alle paar Jahre erfolgenden Mammografie nicht auffallen.

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