"Deutsches Koloskopie-Screening ist vorbildlich"

Die deutsche Bevölkerung ist beim Koloskopie-Screening weiter skeptisch. Dabei gilt das in Deutschland aufgelegte Programm international als vorbildlich. Zunehmend zurückhaltender werden die Gastroenterologen bei den Koloskopie-Kontrollen nach einer Polypentfernung. Angestrebt wird ein risikoadaptiertes Vorgehen, bei dem sich der Zeitraum bis zur erneuten Koloskopie nach Zahl, Art und Größe der abgetragenen Adenome richtet. Dies würde für viele Betroffene eine Koloskopie im Zehn-Jahres-Intervall bedeuten.

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Philipp Grätzel von Grätz

Wenn Professor Wolff Schmiegel von der Ruhr-Universität Bochum über Dickdarmkrebs redet, dann greift er gern zum Begriff der Epidemie. "Wir haben allein in Deutschland 67 000 Neuerkrankungen pro Jahr. Knapp 30 000 Patienten sterben jedes Jahr an Dickdarmkrebs", so Schmiegels Kurzfassung der Epidemiologie des Kolonkarzinoms.

Dabei sind Patienten mit Kolonkarzinom vergleichsweise gut behandelbar. Das Karzinom läßt sich gut operieren, und es gibt wirksame Chemotherapien. Die Crux ist nur: Um eine Heilung zu erreichen, muß der Krebs früh erkannt werden. Schmiegel: "Die Fünf-Jahres-Überlebensrate im Stadium I liegt bei über 95 Prozent. Im Stadium II sind es immer noch 85 Prozent".

Weil das alle wissen, gibt es in Deutschland, wie in einigen anderen Ländern, seit einiger Zeit ein Koloskopie-Screeningprogramm. Die Kosten für jeweils eine Untersuchung für Patienten im Alter von 55 und 65 Jahren werden von den Krankenkassen erstattet.

Bis 2004 sind im Rahmen dieses Programms etwa 1,1 Millionen Menschen prophylaktisch koloskopiert worden, wie Schmiegel in Berlin mitteilte. Im Umkehrschluß heißt das: Etwa 21 Millionen Menschen dieser Altersgruppe fehlen noch. Dabei sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Bei 0,8 Prozent der Koloskopierten wird ein asymptomatisches Karzinom entdeckt. Bei einem von drei Patienten werden Polypen abgetragen, aus denen sich irgendwann einmal ein Karzinom entwickeln könnte.

Professor Sidney Winawer vom Sloan-Kettering Krebszentrum in New York bezeichnete das deutsche Koloskopieprogramm als eines der besten und konsequentesten der Welt. Vor allem die durch die zentrale Datenerfassung mögliche Überwachung der Qualität der Endoskopien sei vorbildlich, so der Experte, der als "Vater" des Koloskopie-Screenings gilt, seit er in den USA die 1980 gestartete National Polyp Study initiiert hat.

Diese Großstudie mit 1418 Patienten an sieben Zentren in den USA hatte ergeben: Durch Koloskopie mit Polypektomie kann die Inzidenz kolorektaler Karzinome bis zu 90 Prozent gesenkt werden (NEJM 328, 1993, 1365).

Vor allem bei den Kontroll-Koloskopien nach einer Polypenentfernung hat man dazu gelernt, wie Winawer betonte. Wurde anfangs bereits ein Jahr nach einer Polypektomie wieder koloskopiert, so ging man Ende der 90er Jahre auf ein Drei-Jahres-Intervall über.

"Wir konnten anhand unserer Daten zeigen, daß sich der Anteil der Patienten mit Krebs oder hochgradigen Dysplasien nicht unterscheidet, wenn nach einem oder nach drei Jahren erneut koloskopiert wird. Er beträgt in beiden Fällen drei Prozent", sagte Winawer.

Starres Drei-Jahres-Intervall soll aufgeweicht werden

Jetzt stehen zumindest die amerikanischen Fachgesellschaften kurz davor, das starre Drei-Jahres-Intervall noch weiter aufzuweichen. Proklamiert wird ein risikoadaptiertes Vorgehen, bei dem sich der Zeitraum bis zur erneuten Koloskopie nach Zahl, Art und Größe der abgetragenen Adenome richtet (siehe Kasten). In der Praxis ist eine Risikoadaptation mittlerweile auch in Deutschland üblich, wie Professor Peter Galle aus Mainz im Gespräch mit "Forschung und Praxis" sagte. Schriftlich festgelegt wurde das freilich noch nicht.

Follow-Up-Koloskopie nach zehn Jahren?

Als Ergebnis der jüngsten Auswertungen der US-amerikanischen National Polyp Study überarbeiten die American Cancer Association und die US Multisociety Task Force on Colorectal Cancer derzeit ihre Empfehlungen für Follow-Up-Koloskopien nach Polypektomie. Nach derzeitigem Diskussionsstand wird ein risikoadaptiertes Vorgehen - wie in der Grafik gezeigt - bevorzugt, erläuterte Professor Sidney Winawer vom New Yorker Sloan-Kettering Cancer Center in Berlin. (gvg)

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