Mehr Zwangseinweisungen: Was steckt dahinter?

In vielen Ländern haben unfreiwillige Unterbringungen in psychiatrischen Kliniken zugenommen. Die Unterschiede in Europa sind aber beträchtlich.

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PRAG (eb). Die Pharmakotherapie hat sich verbessert, die Zahl niedergelassener Psychiater zugenommen. Trotzdem ist in einigen europäischen Ländern die Rate unfreiwilliger Einweisungen in psychiatrische Krankenhäuser gestiegen - allerdings in unterschiedlichem Ausmaß.

Dazu kontrastiert ein Rückgang in anderen Ländern, berichtete Professor Cornelis L. Mulder aus Rotterdam auf dem EPA-Kongress in Prag (Der Neurologe und Psychiater 2012; 13 (4): 16-20).

So stieg in Deutschland zwischen 1990 und 2002 die Rate unfreiwilliger Einweisungen um 67 Prozent von 114,4 auf 190,5 (jeweils bezogen auf 100.000), in England um 24 Prozent von 40,5 auf 50,3, in den Niederlanden um 16 Prozent von 16,4 auf 19,1.

Ein Rückgang der Zwangseinweisungen sei zu beobachten in Italien - um 12 Prozent von 20,5 auf 18,1 - sowie in Schweden, um 17 Prozent von 39,4 auf 32,4. Die niedrigsten Raten in Europa hat Portugal mit 6 auf 100.000, die höchsten Finnland mit 218 auf 100.000.

Die enormen Unterschiede sind nach Angaben von Mulder auf die unterschiedlichen Gesetze zurückzuführen. In Portugal entscheiden ein Richter und ein Vormund über die unfreiwillige Einweisung eines psychisch Kranken.

Krisenintervention und Karten

In Finnland dagegen entscheidet ein einzelner Arzt, der keine psychiatrische Expertise haben müsse, sondern auch Allgemeinmediziner sein könne. Daher sei die Schwelle für eine Zwangseinweisung in Finnland besonders niedrig, so Mulder.

Ein weiterer Grund für hohe Raten unfreiwillig untergebrachter Patienten sei der Bettenabbau in psychiatrischen Kliniken. Er verläuft meist parallel zum Anstieg der Zwangseinweisungen.

So sank in England die Bettenzahl zwischen 1990 und 2002 um 52 Prozent, in den Niederlanden um 15 Prozent und in Deutschland um 10 Prozent, während sie in Italien um 18 Prozent stieg. Wenn die Einweisungen weiter zunehmen, müsse über einen Bettenausbau nachgedacht werden.

Zur Prävention eigneten sich die Förderung der Compliance, wohnortnahe, ambulante Krisenintervention und "Krisenkarten".

Darauf sind die Anzeichen einer Krise und Gegenmaßnahmen notiert. Sie werden an den Patienten, seine Angehörigen und das soziale Umfeld verteilt.

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Kommentare
Sabine Siegel 12.05.201215:21 Uhr

Bettenabbau

Die Frage die sich stellt ist doch eigentlich nicht der Bettenabbau an sich sondern das dahinterliegende Prinzip "ambulant vor stationär". Das Bett an sich ist doch nicht das Heilbringende sondern die längere "Liegezeit", die in der Regel ja weniger im Liegen als vielmehr mit Aktivierung, Krankheitsbewältigung, Rekonvaleszenz und häufig auch Wiederbelebung sozialer Kontakte und Chancen besteht.
Es ist ja nicht so, dass nur Ärzte und Pfleger unter Druck stehen mehr Leistung, mehr Therapie, schnellere Medikamenteneinstellungen vorzunehmen. Der Druck den wir verspüren lastet doppelt auf unseren Patienten, die erheblich krank sind und dann auch noch unter Zeitdruck endlich entlassungsfähig und rehabilitierbar zu werden haben.
Auch das Umfeld wird mittlerweile erheblich durch die Kassen irritiert, indem diese (so sie gesetzliche Betreuer sind) von den Krankenkassen Schreiben erhalten, in denen der Entlasszeitpunkt benannt wird. In den Gesprächen geht es dann nur noch um Verfahrenstechnische Angelegenheiten und die Ängste der Betreuer als um die Patienten.
Ich fände es sehr hilfreich, den Blick mehr auf subjektive Kriterien wie den Aspekt Salutogenese und Akzeptanz der Erkrankung (und der Erkrankten) zu legen, als nur auf angeblich objektive Kritetien wie Bettenzahlen und Zwangseinweisungszahlen zu starren.

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