Klavierspielen baut Hirn um

Das Hirn wächst mit den Aufgaben: Wer zwei Wochen lang regelmäßig Klavier spielen übt, ist danach nicht nur nachweislich geschickter - auch sein Gehirn hat sich messbar verändert, wie italienische Studien zeigen.

Veröffentlicht:
Wer Klavier spielen lernt, dessen Gehirn reagiert mit Plastizität. Dadurch passt sich etwa die Leistungsfähigkeit beider Hände aneinander an.

Wer Klavier spielen lernt, dessen Gehirn reagiert mit Plastizität. Dadurch passt sich etwa die Leistungsfähigkeit beider Hände aneinander an.

© Diego C. / panthermedia

PRAG (eb). Offenbar wächst das Gehirn mit der Herausforderung: Je komplexer die Aufgabe, desto größer die Veränderung.

So sind Testpersonen ohne musikalische Vorerfahrung, die zwei Wochen lang regelmäßig Geläufigkeitsübungen auf einer Keyboard-Tastatur absolvieren, danach nicht nur nachweislich geschickter - auch ihr Gehirn hat sich messbar verändert.

Das haben Studien am Universitätshospital San Raffaele in Mailand ergeben, die beim Europäischen Neurologenkongress in Prag vorgestellt wurden.

Bewegungskoordination wird verbessert

Das Training mit beiden Händen führt bereits nach kurzer Zeit zu einer ausgeglicheneren Aktivität und besseren Zusammenarbeit der Gehirnhälften sowie zu einem feineren Ansprechen der Fingermuskulatur auf Nervenreize.

Die musikalischen Impulse haben zudem Umbauten der grauen Substanz in jenen Hirnregionen zur Folge, die für die Bewegungskoordination zuständig sind - je komplexer die Aufgabe, desto mehr.

Eine erst in letzter Zeit eingehender erforschte Fähigkeit des Gehirns ist es, sich je nach den gestellten Aufgaben selbsttätig derart so umzugestalten, dass seine innere Struktur und Organisation den Anforderungen am besten entspricht.

Diese "Neuroplastizität" funktioniert nach klaren Grundsätzen: Gehirnregionen, die häufig genutzt werden, vernetzen sich besser, von weniger genutzten werden gleichsam Ressourcen abgezogen.

Den beiden neuen Studien zufolge katalysieren musikalische Übungen die Selbstoptimierung bestimmter Gehirnleistungen besonders wirksam.

Zehn Übungseinheitenvon jeweils 35 Minuten Dauer

In der ersten Versuchsanordnung absolvierten zwölf musikalisch unerfahrene Probanden innerhalb von zwei Wochen zehn 35-minütige Übungseinheiten auf einer elektronischen Klaviertastatur.

Vor Beginn und nach Abschluss des Trainings wurden die Bewegungsfunktionen der Hand untersucht. Mit einem 32-Kanal-EEG (Elektroenzephalogramm) und transkranialer Magnetstimulation (TMS) erfolgten neurophysiologische Tests.

Die Ergebnisse der Tests lauteten: Alle Versuchspersonen hatten ihre motorischen Leistungen durch das Training stark verbessert, wobei vor allem die Angleichung der Leistungsfähigkeit beider Hände auffiel: Ein beidhändiges Bewegungstraining bei Rechtshändern bedeutet: Die Geschicklichkeit der linken Hand verbessert sich signifikant.

Ähnliches werde auch von professionellen Musikern berichtet, schreiben die Mailänder Wissenschaftler. Zehn Tage mit einem sachkundig gelenkten Bewegungstraining reichen offenbar aus, um die kortikale Plastizität auszulösen.

Strukturelle Plastizität der grauen Masse beeinflusst

In der anderen Studie wurden 45 musikalisch unerfahrene Testpersonen aufgefordert, mit ihrer rechten Hand auf einer computer-modifizierten Tastatur eine vorgegebene Tonfolge zu spielen, wobei sie rhythmisch den Einsätzen eines Metronoms folgen sollten.

Eine Gruppe hörte nur die Einsätze des Metronoms, die zweite zusätzlich einen musikalischen Einsatz im gleichen Rhythmus wie das Metronom und die dritte, als schwierigste Aufgabe, einen musikalischen Einsatz in einem rascheren Rhythmus als das Metronom. Eine Übungssitzung dauerte 30 Minuten.

Alle Probanden durchliefen innerhalb von zwei Wochen zehn Sitzungen.

In allen drei Gruppen hatte sich die Geschicklichkeit verbessert. Zwar hatten die Klavierübungen die Architektur der weißen Substanz des Gehirns nicht nachweisbar beeinflusst, aber die graue Substanz in Gehirnbereichen, die Bewegungen koordinieren, hatte ihr Volumen signifikant verändert, wie Messungen mit funktioneller MRT ergaben.

In jener Gruppe, die mit einem rascheren musikalischen Rhythmus als dem vom Metronom vorgegebenen zurechtkommen musste, veränderte sich das Volumen der grauen Masse in noch größerem Ausmaß.

Musikalische Stimulation während eines Bewegungstrainings verbessere also die motorische Leistungsfähigkeit und beeinflusse die strukturale Plastizität der grauen Masse, resümieren die Forscher. (ENS Abstract O 316, ENS Abstract O 318, ENS Abstract P 780).

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Eine schwierige Entscheidung

Schlaganfall: Das sind Grenzfälle der Thrombolyse

Prognose im ersten Lebensjahr

Welche Kinder holen Entwicklungsverzögerungen auf – und welche nicht?

Das könnte Sie auch interessieren
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Prognostizierbares Therapieansprechen?

© Stockbyte | gettyimages (Symbolbild mit Fotomodellen)

Antidepressiva

Prognostizierbares Therapieansprechen?

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Depression und Schmerz gehen häufig Hand in Hand

© brizmaker | iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Depressionsscreening

Depression und Schmerz gehen häufig Hand in Hand

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema

Chronisch kranke Kinder

Mangelernährung frühzeitig erkennen und konsequent angehen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Danone Deutschland GmbH, Frankfurt/Main
7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

© Vink Fan / stock.adobe.com

Aktive schubförmige Multiple Sklerose

7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg

ADHS im Erwachsenenalter

Wechseljahre und ADHS: Einfluss hormoneller Veränderungen auf Symptomatik und Diagnose

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Eine schwierige Entscheidung

Schlaganfall: Das sind Grenzfälle der Thrombolyse

Lesetipps
Sieht lecker aus und schmeckt — doch die in Fertigprodukten oft enthaltenen Emulgatoren wirken proinflammatorisch. Ein No-Go für Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.

© mit KI generiert / manazil / stock.adobe.com

Emulgatoren in Fertigprodukten

Hilfreich bei Morbus Crohn: Speiseeis & Co. raus aus dem Speiseplan!

Checkliste Symbolbild

© Dilok / stock.adobe.com

Auswertung über Onlinetool

Vorhaltepauschale: So viele Kriterien erfüllen Praxen laut Honorarvorschau