Gefängnisstudie

Psychopathen-Test per MRT

Keine Spur von Empathie - das ist ein Kennzeichen von Psychopathen. US-Forscher konnten jetzt erstmals im MRT nachweisen, dass bei Betroffenen tatsächlich emotionale Netzwerke verkümmert sind. Daraus könnte ein neues Testverfahren entstehen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
MRT-Schichtbilder eines menschlichen Gehirns. Die Bildgebung wird zur Diagnostik bei Psychopathie geprüft.

MRT-Schichtbilder eines menschlichen Gehirns. Die Bildgebung wird zur Diagnostik bei Psychopathie geprüft.

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CHICAGO. Eine Psychopathie zu diagnostizieren, ist bislang nicht einfach. Neben einer langen Liste von Gesetzeskonflikten stehen Persönlichkeitsmerkmale im Vordergrund. Oft werden standardisierte Fragebögen und Checklisten verwendet, um psychopathische Züge zu erkennen und damit auch die Rückfallwahrscheinlichkeit von Straftätern zu ermitteln.

Ob eine Psychopathie festgestellt wird, kann auch darüber entscheiden, ob jemand in Sicherungsverwahrung gelangt oder eines Tages wieder auf freien Fuß kommt.

Da gelegentlich auch Unschuldige und psychisch Gesunde in den Händen von schlecht geschulten Gutachtern plötzlich zu Psychopathen ernannt werden oder eine ungünstige Prognose attestiert bekommen (wir berichteten), wären objektivere Testverfahren wünschenswert.

Ein Schritt in diese Richtung könnten bildgebende Verfahren wie funktionelle MRT sein. Inzwischen sind zahlreiche Hirnstrukturen bekannt, die bei empathischen Reaktionen aktiviert werden.

Dazu zählen der orbitofrontale Kortex, der ventromediale präfrontale Kortex sowie eine Reihe von subkortikalen Strukturen (Amygdala, Hypothalamus und Hirnstamm). Dieses Netzwerk zeigt immer dann charakteristische Reaktionen, wenn wir andere Menschen leiden sehen.

80 Straftätern ins Gehirn geschaut

In einer Studie bei Strafgefangenen haben nun Psychiater und Psychologen um Dr. Jean Decety von der Universität in Chicago geschaut, ob sich bei Inhaftierten, denen eine Psychopathie attestiert wurde, tatsächlich Veränderungen im Empathie-Netzwerk nachweisen lassen (JAMA Psychiatry 2013: online 24. April).

Die Gefangenen waren zuvor alle mit der Hare Psychopathy Checklist (PCL) untersucht worden. Dabei werden aus der Vergangenheit Hinweise auf einen antisozialen Lebensstil abgefragt, etwa eine früh beginnende Straftäterkarriere, verantwortungsloses Verhalten, Impulsivität und schlechte Verhaltenskontrolle.

Auch Verbrechen aus Langeweile zählt dazu. In einem zweiten Komplex nehmen Gutachter die Persönlichkeitsstruktur unter die Lupe. Auffällig sind hier Personen ohne Schuldgefühl oder Empathie oder mit besonderer Gefühlskälte, aber auch mit übertriebenem Selbstwertgefühl sowie Menschen, die notorisch lügen oder andere manipulieren.

Maßgeblich sind hier aber vor allem fehlendes Mitgefühl und die Unfähigkeit, sich in die Lage anderer zu versetzen. Werte von über 30 Punkten auf der PCL sprechen für eine ausgeprägte Psychopathie, Werte unter 20 Punkten weisen auf ein geringes psychopathisches Potenzial.

In der Studie haben Decety und Mitarbeiter nun 27 hochpsychopathische Straftäter (PCL über 30 Punkte), 28 mit mittleren PCL-Werten (20-30 Punkte) und 25 Gefangene mit niedrigen Werten (unter 20 Punkte) per fMRT untersucht.

Die Probanden mussten dazu im MRT 48 Videos mit Situationen ansehen, in denen Menschen andere absichtlich verletzten. Gezeigt wurden etwa Szenen, in denen jemand die Autotür zuschlug, als ein anderer die Hand dazwischen hatte.

Zur Kontrolle wurden 48 Videos mit harmlosen Situationen gezeigt. Gesichter und Köpfe waren in den Videos nicht zu erkennen.

Typische Aktivitätsmuster

In einer zweiten Serie bekamen die Probanden dann unterschiedliche Gesichter zu sehen, von denen einige die typische Reaktion auf einen Schmerz zeigten. Durch diese zwei Serien wollten die Studienautoren Empathie aufgrund einer bestimmten Situation und aufgrund eines Gesichtsausdrucks voneinander trennen.

Die erste Serie setzt einen mittelbaren kognitiven Prozess voraus, über den Empathie erzeugt wird, die zweite setzt auf eine direkte affektive Reaktion.

Die Forscher um Decety konnten nun tatsächlich eine Reihe deutlicher Unterschiede im Empathie-Netzwerk feststellen. Sie waren teilweise umso stärker ausgeprägt, je höher die PCL-Werte lagen. Auch gab es deutliche Aktivitätsunterschiede in beiden Testserien bei den einzelnen Netzwerkkomponenten.

Konsistent in beiden Serien waren aber vor allem die Aktivitätsmuster von drei der Komponenten verändert: So zeigten Straftäter mit hohen PCL-Werten in beiden Serien wie vermutet eine reduzierte Aktivität im orbitofrontalen und im ventromedial präfrontalen Kortex, allerdings, und das war überraschend, auch eine verstärkte Aktivität im vorderen Cingulum. Normalerweise wird das Cingulum bei empathischen Reaktionen mitaktiviert.

Das Team um Decety vermutet nun, dass die Funktion des Cingulums doch komplexer ist als angenommen. Möglicherweise wird auch bei Psychopathen ein Teil des Empathie-Netzwerkes angeschoben, der Stimulus wird aber nur kognitiv und nicht emotional verarbeitet. Die Betroffenen wissen demnach sehr gut, was vor sich geht, es berührt sie aber nicht.

Interessanterweise hat man in Studien mit schwer erziehbaren, verhaltensgestörten Kindern ähnliche Aktivitätsmuster gefunden, auch ist aus anderen Studien bekannt, dass psychopathische Straftäter offenbar strukturelle und funktionelle Defizite im orbitofrontalen und präfrontalen Kortex aufweisen.

Noch ist es zwar zu früh, solche Merkmale diagnostisch zu verwenden, in Zukunft könnten validierte fMRT-Tests aber durchaus für Gutachten relevant sein.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Lohnender Blick ins Gehirn

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