Hintergrund

Darauf sollten Ärzte bei chronisch müden Patienten achten

Depressionen und Angststörungen - das sind die häufigsten Gründe für chronische Müdigkeit. Dennoch gilt es, organische Ursachen auszuschließen. Dafür reicht meist schon eine gründliche Anamnese.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Müdigkeit ist oft Zeichen von Depression oder Angst.

Müdigkeit ist oft Zeichen von Depression oder Angst.

© Klaus-P. Adler / fotolia.com

Viel zu müde - so fühlt sich im Schnitt jeder Dritte in Deutschland. Die meisten müden Zeitgenossen haben dafür aber eine plausible Erklärung und in der Regel keinen starken Leidensdruck.

Eine ausgeprägte Müdigkeit ist nach Studiendaten nur bei etwa 3 bis 7 Prozent der Hausarztpatienten der Grund für den Arztbesuch, viel öfter klagen Patienten nebenbei über ihre Müdigkeit und Abgeschlagenheit.

Ernst nehmen sollten Ärzte solche Beschwerden auf jeden Fall, nicht zuletzt deshalb, weil sie oft Zeichen einer Depression oder Angsterkrankung sind.

In ihrer jetzt aktualisierten Leitlinie zu Müdigkeit rät die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) daher, besonders auf Zeichen von psychischen Störungen zu achten.

Viel Wert auf Anamnese legen

Die DEGAM erinnert daran, dass es meist leicht bis mittelschwer Depressive sind, die einen Hausarzt aufsuchen und dabei größtenteils über körperliche Symptome klagen. Depressionssymptome müssen daher aktiv erfragt werden.

Da Müdigkeit aber auch Begleitsymptom vieler anderer Krankheiten sein kann, sollten Ärzte viel Wert auf die Anamnese legen. Die DEGAM rät zu einem genauen Blick auf folgende Faktoren:

Art und Dauer und Qualität der Müdigkeit: Seit wann sind die Patienten müde? Werden sie im Alltag stark beeinträchtigt? Wird die Müdigkeit ehe als Mangel an Energie, allgemeine Erschöpfung oder Schläfrigkeit empfunden?

Ersteres würde auf eine psychische Störung, Letzteres auf ein Schlafapnoe-Syndrom oder eine Narkolepsie deuten. Auch eine Muskelschwäche kann unter Müdigkeit fallen und Hinweise auf eine neuromuskuläre Erkrankung liefern.

Mögliche körperliche Ursachen: Gibt es kardiale, respiratorische, gastrointestinale oder urogenitale Erkrankungen und Beschwerden? Reizdarm, prämenstruelles Syndrom, Fibromyalgie oder Spannungskopfschmerz gehen häufig mit Müdigkeit einher. Auch vorhandene oder durchgemachte Infektionen schwächen den Körper oft über Wochen.

Bei älteren Menschen sollte zudem an neurodegenerative Erkrankungen gedacht werden - die Müdigkeit kann auch Symptom einer beginnenden Demenz sein. Allerdings sollte die Müdigkeit nicht vorschnell als Ursache einer organischen Krankheit betrachtet werden.

Schlaf: Wie sind Dauer, Qualität, Schlaf-Wach-Rhythmus? Gibt es Störungen durch Lärm, Schmerz, innere Unruhe, Schnarchen? Gab es Unfälle durch plötzliches Einschlafen am Steuer? Hierbei geht es um mögliche Ursachen von Schlafstörungen, die zur Tagesmüdigkeit führen können.

Drogen und Medikamente: Besonders relevant ist die Abschätzung des Alkohol-, Koffein- und Nikotinkonsums sowie des Konsums illegaler Drogen. Aber auch bei Medikamenten wie einigen Neuroleptika, Benzodiazepinen, Trizyklika, Antihistaminika sowie Antihypertensiva gehört Müdigkeit zu den bekannten Nebenwirkungen.

Belastung durch Chemikalien: Vor allem bei Menschen, die mit Lösungsmitteln oder Schadstoffen wie Blei, Quecksilber, Kohlenmonoxid und Schwefelwasserstoff beruflich zu tun haben, könnte auch dies ein Grund für die Müdigkeit sein. Hier muss allerdings darauf geachtet werden, dass solche Noxen nicht vorgeschoben werden und letztlich psychische Gründe dominieren.

Ergibt sich in der Anamnese und bei einer körperlichen Untersuchung kein Verdacht auf eine konkrete Ursache, hält die DEGAM bei einer seit mehr als vier Wochen bestehenden Müdigkeit eine Laboruntersuchung für sinnvoll, und zwar von TSH, Blut-Glukose, Blutbild, BSG, Transaminasen und Gamma-GT.

Körperliche Bewegung als Therapie

Allzu viel sollten Ärzte davon aber nicht erwarten, insgesamt würden Laboruntersuchungen nur wenig zur Diagnosefindung bei Müdigkeit beitragen. Die DEGAM warnt zudem, pathologische Laborwerte vorschnell als ausreichende Erklärung zu akzeptieren.

Mehr Diagnostik ist nicht nötig, es sei denn, es ergeben sich Anhaltspunkte für eine spezifische Ursache. Vor allem sollte man nicht allein aufgrund der Müdigkeit eine ausführliche Tumordiagnostik betreiben. Dies könne zu einer unnötigen Belastung der Patienten und zur Somatisierung einer Befindlichkeitsstörung führen.

Als Therapie bei unklarer Müdigkeit rät die DEGAM vor allem zu mehr körperliche Bewegung. Oft halten sich Betroffene für zu müde für Sport, bewegen sich nicht und werden noch müder. Diesen Kreislauf gilt es zu durchbrechen. Auch Psycho- und Verhaltenstherapien sind für einen Teil der Patienten geeignet.

Die überarbeitete Leitlinie gibt es unter http://leitlinien.degam.de

Lesen Sie dazu auch: Diffuse Müdigkeit: Häufig ist es eine Depression

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