Bei Epilepsie ist Therapie mit neuen Antiepileptika erste Wahl

Die Therapiemöglichkeiten von Patienten mit Epilepsie haben sich durch die Zulassung neuer Antiepileptika in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert. Eine anhaltende Anfallsfreiheit läßt sich mittlerweile bei etwa der Hälfte der Patienten mit fokalen Epilepsien und bei bis zu 80 Prozent der Patienten mit idiopathischen generalisierten Epilepsien erzielen. Meist muß die medikamentöse Therapie lebenslang erfolgen.

Veröffentlicht:

Jürgen Bauer

Vorrangiges Behandlungsziel bei Patienten mit Epilepsie ist es, möglichst eine langanhaltende Anfallsfreiheit zu erreichen. Dies gelingt mit einer medikamentösen Therapie bei etwa 50 Prozent der Patienten mit fokalen Epilepsien und bei bis zu 80 Prozent der Patienten mit idiopathischen generalisierten Epilepsien.

Die Therapie erfolgt vorrangig medikamentös mit Antiepileptika, deren Zahl sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt hat. Dennoch sind es immer noch wenige Substanzen, die letztlich zur Verfügung stehen.

Wichtig ist daher, die Wirksamkeit der verordneten Substanzen für den einzelnen Patienten maximal auszunutzen, bevor ein Therapiewechsel erfolgt. Für viele der klassischen Antiepileptika wie Carbamazepin oder Valproat evaluiert man die Dosierung an der Serumkonzentration, dies ist für die Antiepileptika der neuen Generation nicht erforderlich.

Individuelle Bedürfnisse der Patienten werden berücksichtigt

Das wesentlich Neue in der medikamentösen Epilepsie-Therapie ist, daß manche Antiepileptika für spezielle Behandlungssituationen besser geeignet sind als andere, so daß die spezifischen Belange eines Patienten bei der individuellen Therapieplanung berücksichtigt werden können:

  • Bei Frauen ist an eine mögliche Schwangerschaft zu denken, da manche Antiepileptika teratogen wirken. Carbamazepin und Lamotrigin haben die geringste bekannte Risikoerhöhung.
  • Da Interaktionen zwischen Leberenzym-induzierenden Antiepileptika und Ovulationshemmern bestehen, sollte die Schwangerschaftsverhütung sorgfältig geplant werden; eventuell müssen die Kontrazeptiva höher dosiert oder andere Methoden angewendet werden.
  • Bei Männern können Libido und Potenz durch Interaktion des Androgenstoffwechsels mit Enzym-induzierenden Antiepileptika, etwa Carbamazepin, vermindert werden.
  • Einige Antiepileptika, etwa Carbamazepin und Valproat, können die Entwicklung einer Osteoporose begünstigen.

Eine gute medikamentöse Therapie ist bei Epilepsie-Patienten nicht diejenige, die kurzfristig Anfälle verhindert, sondern diejenige, die den Patienten eine lebenslang möglichst geringe Beeinträchtigung durch die unmittelbaren und mittelbaren Folgen der Erkrankung ermöglicht. Für die meisten Patienten ist die medikamentöse Therapie lebenslang notwendig, um Anfallsfreiheit aufrechtzuerhalten.

Anfallsfreiheit nach Epilepsiechirurgie
Ursache Anfallsfreiheit
Neokortikale Temporallappen-Epilepsie (Läsion: 100%)

79 %

Temporallappen-Epilepsie (Läsion: 83%)

62 %

Neoplasma (Temporal: 79%)

71 %

Multiple subpiale Transsektion in eloquenten Arealen

0

Extratemporale Epilepsie (Läsion: 96%)

54 %

Duale Pathologie: Temporo-mesial plus extrahippokampal
  • Läsionektomie plus Hippokampektomie: 73%,
  • Hippokampektomie: 20%,
  • Läsionektomie: 12,5%
Quelle: Bauer, Tabelle: FORSCHUNG UND PRAXIS / ÄRZTE ZEITUNG
Für viele Patienten, bei denen sich die Anfallsfrequenz medikamentös nicht ausreichend senken läßt, ist die Operation eine Therapieoption.

Für die Praxis sinnvoll erscheint es, Erfahrungen mit einigen wenigen Antiepileptika zu sammeln und dann schrittweise das Behandlungsspektrum um einzelne Substanzen zu erweitern. Generell sollte der gewählte Wirkstoff langsam und in kleinen Schritten aufdosiert werden, um unerwünschte Wirkungen zu vermeiden. Die Dosis sollte so lange erhöht werden, bis die Patienten anfallsfrei sind oder nicht tolerierbare Nebenwirkungen auftreten, dabei sind die oberen Dosierungsgrenzen zu beachten.

Erweist sich das gewählte Antiepileptikum in Monotherapie als unwirksam, sollte es durch eine Monotherapie mit einem anderen Präparat ersetzt werden. Dabei ist zu beachten, daß die Dosierung des ersten Präparats langsam vermindert werden muß.

Ist auch die zweite Monotherapie nicht ausreichend wirksam, sollte eine Kombination aus zwei Antiepileptika begonnen werden.

Anfallsprophylaxe für Patienten mit Epilepsie

Bei der Therapieplanung mit Antiepileptika sollten auch die individuellen Belange der Patienten und die Begleitwirkungen der Präparate berücksichtigt werden.

Heutzutage werden in der Epilepsie-Therapie im wesentlichen die folgenden Antiepileptika in der Mono- und Kombinationstherapie eingesetzt, da mit ihnen am ehesten Anfallsfreiheit bei verbesserter Verträglichkeit erwartet werden kann:

- Carbamazepin (bis 2400 mg / Tag; etwa Tegretal®), - Gabapentin (bis 4000 mg / Tag; etwa Neurontin®), - Lamotrigin (bis 600 mg / Tag; Lamical®), - Levetiracetam (bis 3000 mg / Tag; Keppra®), - Oxcarbazepin (bis 2400 mg / Tag; Timox®, Trileptal®), - Topiramat (bis zu 400 mg / Tag, Topamax®), - Valproat (bis 2400 mg / Tag; etwa Ergenyl®) und - Pregabalin (bis zu 600 mg / Tag; Lyrica®).

Zu beachten ist, daß von diesen Präparaten nur Topiramat, Lamotrigin, Levetiracetam und Valproat zur Therapie bei generalisierten Anfällen geeignet sind und Levetiracetam bislang nur zur Kombinationstherapie fokaler Epilepsien zugelassen ist.

Für die Kombinationstherapie hat es sich bewährt, aus Gründen der besseren Verträglichkeit Antikonvulsiva miteinander zu kombinieren, die unterschiedlich eliminiert werden (hepatisch oder renal). Über die Leber abgebaut werden Carbamazepin, Oxcarbazepin, Lamotrigin, Topiramat und Valproat. Renal eliminiert werden Gabapentin, Pregabalin und Levetiracetam.

Als hochwirksam bei Patienten mit fokalen Anfällen und Grand mal haben sich die Kombinationen von Carbamazepin, Oxcarbazepin oder Lamotrigin mit Topiramat oder Levetiracetam erwiesen. Bei Patienten mit generalisierten Anfällen (Absencen, Impulsives Petit mal, Grand mal) sind die Kombinationen von Valproat mit Lamotrigin, Topiramat oder Levetiracetam besonders wirksam.

Die anderen Antiepileptika wie Phenytoin (etwa Phenhydan®), Phenobarbital (Luminal®), Primidon (etwa Resimatil®), Ethosuximid (Petnidan®, Suxilep®), Vigabatrin (Sabril), Tiagabin (Gabitril®), Felbamat (Taloxa®) und Sutiam (Ospolot®) sowie die bei Epilepsie eingesetzten Benzodiazepine wie Clobazam (Frisium®), Clonazepam (Antelepsin®, Rivotril®) und Diazepam (etwa Valium®) gelten als Mittel der zweiten Wahl und können nach Versagen der vorgeschlagenen Therapiestrategien je nach Anfallsform eingesetzt werden. Mit ihnen ist meist eher eine Anfallsminderung als eine Anfallsfreiheit zu erzielen.

Alternative Therapieoptionen bei Therapieresistenz

Bei Patienten mit Epilepsien mit generalisierten Anfällen und Grand mal sind die Behandlungsoptionen jenseits der medikamentösen Therapie gering. Die Patienten sollten prokonvulsive Faktoren wie Schlafmangel oder unregelmäßigen Tagesrhythmus meiden, schon dadurch kann es gelingen, die Anfallsfrequenz zu senken.

Chirurgische Maßnahmen: Bei Epilepsien mit fokalen Anfällen und Grand mal ist nach Versagen der Kombinationstherapie vor allem eine Operation zu erwägen. Damit kann bei zwei von drei operierten Patienten Anfallsfreiheit erreicht werden, zudem wird die Anfallsfrequenz bei weiteren 20 Prozent gesenkt.

Welche Patienten können von einer operativen Therapie hauptsächlich profitieren? Hierzu gehören, sofern keine Kontraindikationen für eine Operation bestehen, Patienten mit

  • fokalen und sekundär generalisierten Anfällen,
  • stereotypem Anfallsverlauf, allenfalls seltenen zusätzlichen psychogenen Anfällen,
  • Pharmakoresistenz, das heißt, bei wirkungsloser Mono- und Kombinationstherapie, und / oder
  • progressivem Tumor, Kavernom oder Hippokampussklerose.

Auch nach einer erfolgreichen Operation wird die Therapie mit einem Antiepileptikum weitergeführt. Bei der häufigsten epilepsiechirurgischen Operation, der Resektion im Schläfenlappen, sind mnestische Störungen (verbaler oder non-verbaler Art) zu erwarten, bedingt durch die Resektion des Hirngewebes. Ausmaß und Relevanz dieser Symptome müssen präoperativ neuropsychologisch abgeklärt werden.

Vagusnervstimulation: Bei diesem Verfahren wird im Brustbereich ein Schrittmacher implantiert, der über eine repetitive elektrische Reizung des Nervus vagus den Neokortex retrograd stimuliert. Indiziert ist diese Methode bei Patienten mit fokalen und sekundär generalisiertem Grand mal, bei denen eine Pharmakotherapie nicht ausreichend wirksam ist.

Der antikonvulsive Effekt ist zum Teil erst nach langjähriger Behandlung nachweisbar. Nach zwei Jahren hat sich die Anfallsfrequenz bei etwa 40 Prozent der Patienten halbiert. Anfallsfreiheit ist jedoch kaum zu erzielen.

Auch unter Vagusnervstimulation müssen zusätzlich Antiepileptika eingenommen werden. Vor der Implantation ist eine kranielle Kernspintomographie unter epilepsiechirurgischen Aspekten notwendig, da nach der Implantation eine solche Untersuchung nur mit niedriger Feldstärke möglich ist.

Professor Dr. Jürgen Bauer, Klinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn, Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn, Tel.: 0228 / 287-6954, Fax: -287-4486, E-Mail: Juergen.Bauer@ukb.uni-bonn.de

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