Multiple Sklerose: Myelinschäden nicht der Auslöser

Schäden am Myelin gelten als Ausgangspunkt für Multiple Sklerose. Doch für Forscher aus der Schweiz greift dieses Modell zu kurz: Die Ursache liege im Immunsystem, sagen sie.

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Nervenzellen: Immer schön umhüllt bleiben.

Nervenzellen: Immer schön umhüllt bleiben.

© Sebastian Schreiter

ZÜRICH (eb). Schäden im Myelin von Gehirn und Rückenmark führen nicht zur Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS). Diesen Nachweis haben Neuroimmunologen der Universität Zürich zusammen mit Kollegen erbracht.

Damit verwerfen sie eine gängige Hypothese zur Entstehung von MS (Nature Neuroscience 2012; online 26. Februar). Nun suchen die Wissenschaftler die Ursache für MS vor allem im Immunsystem und nicht mehr wie bisher im Zentralnervensystem.

Als relativ gesichert gilt, dass MS eine Autoimmunerkrankung ist, bei der körpereigene Abwehrzellen das Myelin in Gehirn und Rückenmark angreifen. Dieses Myelin umhüllt die Nervenzellen und ist wichtig für deren Funktion, Reize als elektrische Signale weiterzuleiten.

Zur Entwicklung einer MS existieren zahlreiche ungesicherte Hypothesen. Eine davon verwerfen nun die Neuroimmunologen in ihrer aktuellen Arbeit: Sterbende Oligodendrozyten, wie die Myelin-bildenden Zellen genannt werden, lösen MS nicht aus.

Die Forscher widerlegen mit ihrer Forschung die sogenannte "neurodegenerative Hypothese". Diese Theorie stützte sich auf die Beobachtungen, dass manche Patienten charakteristische Myelinschäden ohne erkennbaren Immunangriff aufwiesen.

Immunsystem verstärkt in den Fokus rücken

Also käme als Möglichkeit in Frage, dass die MS-auslösenden Myelinschäden ohne Beteiligung des Immunsystems entstehen. In diesem Szenario wäre die gegen das Myelin gerichtete Immunantwort das Ergebnis - und nicht die Ursache - dieses pathogenen Prozesses.

Diese Hypothese wollten die Forscher mit einem neuen Mausmodell bestätigen oder widerlegen. Durch genetische Tricks erzeugten sie Myelindefekte, ohne die Immunabwehr zu alarmieren.

"Zu Beginn unserer Arbeit fanden wir Myelinschäden, die sehr stark den bisherigen Beobachtungen an MS-Patienten glichen", erklärt Professor Burkhard Becher in einer Mitteilung der Universität Zürich.

Nie sei jedoch die Entwicklung einer MS-ähnlichen Autoimmunerkrankung zu beobachten gewesen. Um herauszufinden, ob eine aktive Immunabwehr aufgrund einer Infektion zusammen mit Myelinschäden zur Erkrankung führt, haben die Forscher weitere Experimente gemacht.

So töteten sie in dem In-vivo-Modell die Oligodendrozyten ab. Daraufhin kam es zu einer starken Mikroglia-Makrophagen-Aktivierung, so dass Myelinkomponenten in drainierenden Lymphknoten als ZNS-Antigene für Lmphozyten zugänglich wurden - immer mit negativem Ergebnis.

Es gelang ihnen nicht, eine MS-ähnliche Erkrankung nachzuweisen, egal wie stark sie das Immunsystem stimuliert haben. Deshalb erachten sie die neurodegenerative Hypothese als überholt.

Die Arbeitsgruppe will weiter an der Ursache und Entstehung von MS forschen. Aufgrund dieser und weiterer neuer Erkenntnisse wird sich die Forschung an der Krankheitsentstehung der MS in Zukunft sicherlich weniger auf das Gehirn, sondern mehr auf das Immunsystem konzentrieren, vermuten die Autoren.

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