Stammzellen

Transplantation stoppt progrediente Multiple Sklerose

Selbst Patienten mit progredienter MS können von autologer Stammzelltransplantation profitieren. In einer Registeranalyse zeigten mehr als die Hälfte der Betroffenen nach drei Jahren keine Zeichen einer Progression.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Selbst Patienten mit progredienter MS können von autologer Stammzelltransplantation profitieren.

Selbst Patienten mit progredienter MS können von autologer Stammzelltransplantation profitieren.

© Aintschie / Fotolia

Bis vor wenigen Jahren hatten Patienten mit sehr aggressiver MS kaum eine andere Wahl, als den Neustart des Immunsystems zu versuchen. Sprachen sie auf die üblichen Immunmodulatoren nicht an, blieb den Ärzten oft nur noch eine Zerstörung des autoaggressiven Immunsystems, gefolgt von einem Wiederaufbau mit zuvor entnommenen autologen Stammzellen. Allerdings hat dies seinen Preis: In älteren Studien lag die Sterberate zum Teil über 7 Prozent, neuere Daten deuten darauf, dass die Methode etwas sicherer geworden ist. Mit hochwirksamen neuen MS-Mitteln dürfte vielen Patienten mit aktiver schubförmiger MS eine Stammzelltransplantation erspart bleiben. Dies gilt jedoch nicht für Patienten mit progredienten Krankheitsformen: Für sie gibt es nach wie vor kaum wirksame Optionen.

Aufhorchen lassen daher Resultate einer europäisch-amerikanischen Registeranalyse. Danach profitieren die meisten Patienten mit progredienter MS (PMS) ebenfalls von dem Verfahren.

Noch 46 Prozent nach fünf Jahren progressionsfrei

Für ihre Analyse haben MS-Experten um Paolo Muraro vom Imperial College in London Daten von 281 MS-Kranken ausgewertet, die sich zwischen 1995 und 2006 einer Myeloablation gefolgt von einer autologen Stammzelltransplantation unterzogen hatten. Die Daten stammten aus dem US-Register CIBMTR* sowie vom europäischen EBMT**-Register; die Patienten waren in 25 Zentren aus 13 Ländern behandelt worden (JAMA Neurol 2017; online 20. Februar). Im Schnitt waren die Betroffenen bei der Transplantation 37 Jahre alt, die MS war deutlich vorangeschritten (EDSS-Wert im Schnitt 6,5 Punkte). 78 Prozent hatten eine PMS, zumeist sekundär progredient (rund 66 Prozent). Vier von zehn Patienten hatten mehr als zwei Therapieversuche hinter sich, bevor sie der Stammzelltransplantation zustimmten, zwei Drittel wurden zwischen 2001 und 2006 behandelt, ebenfalls zwei Drittel mit einem moderat intensiven Myeloablations-Regime.

Im Median konnten die Patienten 6,6 Jahre nachbeobachtet werden. Nach fünf Jahren lebten immer noch 46 Prozent der Patienten ohne MS-Progression, definiert als stabile EDSS-Zunahme um mindestens einen Punkt. Von den zehn Patienten, die acht und mehr Jahre nachuntersucht werden konnten, blieben rund 30 Prozent progressionsfrei.

Am stärksten profitierten Patienten mit schubförmigem Verlauf. Von ihnen lebten nach drei Jahren noch 82 Prozent ohne Progression, 73 Prozent waren es nach fünf Jahren. Patienten mit sekundärer PMS blieben zu rund 65 Prozent bis zum dritten und zu 33 Prozent bis zum fünften Jahr progressionsfrei, dagegen schritt bei allen 24 Patienten mit primärer PMS die Erkrankung in den ersten fünf Jahren voran. Wenig überraschend spiegelte sich dies auch im Alter wider: Patienten unter 30 Jahren, die in der Regel noch einen schubförmigen Verlauf zeigen, blieben in den ersten fünf Jahren nach der Therapie zu mehr als 60 Prozent progressionsfrei, dies gelang jedoch nur bei etwas mehr als 30 Prozent der über 40-Jährigen. Auch MS-Kranke mit vielen erfolglosen Therapieversuchen in der Vergangenheit schnitten tendenziell schlechter ab.

Mortalität lag bei knapp drei Prozent

Bei einem Teil der MS-Kranken war der EDSS-Verlauf vor der Therapie bekannt. So hatte sich der Wert im Jahr vor der Behandlung bei denen mit schubförmigem Verlauf im Mittel um 1,4 Punkte verschlechtert und danach um 0,8 Punkte verbessert. Bei den PMS-Patienten war der Effekt etwas geringer: Vor Therapie war der EDSS-Wert um 0,7 Punkte gestiegen, danach um 0,1 Punkte gesunken. Aber auch bei ihnen kam die Krankheit zunächst zum Stillstand.

Auf der Negativseite stehen 37 Todesfälle in der Nachbeobachtungszeit. Acht Patienten (2,8 Prozent) starben in den ersten 100 Tagen nach der Behandlung, bei ihnen wurde der Tod auf die Therapie zurückgeführt. Die Mortalität war bei PMS-Patienten etwa dreifach höher als bei denen mit schubförmigem Verlauf, der Unterschied erwies sich jedoch nicht als statistisch signifikant.

Wurde mit einer hochintensiven statt einer niedrig intensiven Myeloablation behandelt, ergaben die Daten eine knapp signifikante vierfach erhöhte Sterberate. Insgesamt schien die Sterberate mit der Zeit jedoch zurückzugehen. Offenbar wurden seltener Patienten mit stark fortgeschrittener MS therapiert; sie profitieren am wenigsten, tragen aber das höchste Sterberisiko.

Aus der Analyse lassen sich einige interessante Schlüsse ziehen. So ist der Therapieeffekt bei relativ jungen Patienten mit schubförmiger MS, kurzer Krankheitsdauer und relativ niedrigem EDSS-Wert am größten. Ähnliches gilt bekanntlich auch für immunmodulatorische Therapien. Nichtsdestoweniger kann die Behandlung die Krankheitsprogression bei den meisten Patienten mit PMS über einige Jahre hinweg zum Stillstand bringen. Deutlich wurde dies auch in einer kleinen Studie von 2016 mit 24 Patienten, von denen die Hälfte eine PMS mit überlagernden Schüben hatte. Binnen sieben Jahren traten nach Behandlung bei keinem Patienten neue Schübe auf, die MS schritt dennoch bei sieben Erkrankten voran, vorwiegend bei denjenigen, die vor der Behandlung das höchste Progressionsrisiko zeigten.

Wie zu erwarten, dürfte die Stammzelltransplantation vorwiegend die entzündlichen Prozesse eliminieren. Sie wäre daher primär für jüngere PMS-Patienten mit überlagernden Schüben geeignet, bei denen entzündliche Prozesse die Krankheit dominieren, und weniger für ältere Patienten mit kaum noch vorhandener Entzündungsaktivität.

Nun wird eine Phase-III-Studie geplant. Dabei soll die Stammzelltransplantation gegen eine Behandlung mit modernen MS-Therapeutika geprüft werden. Die Studienautoren werden sich die Resultate von Muraro und Mitarbeitern sicher sehr genau anschauen, wenn es um die Patientenauswahl geht.

*CIBMTR: Center for International Blood and Marrow Transplant Research, **EBMT: European Blood and Marrow Transplant

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