"Vor 20 Jahren abgewertet, heute als Königsweg etabliert"

NEU-ISENBURG (ug). "Zurück ins Leben" lautet das Motto der Oberbergkliniken. Damit soll Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen Mut gemacht werden, Scham und Schuldgefühle zu überwinden. Vor 20 Jahren hat der Neurologe Professor Matthias Gottschaldt die Kliniken gegründet. Neu war sein speziell auf Leistungsträger zugeschnittenes Therapiekonzept. Und neu war ein Spezial-Angebot für suchtkranke Mediziner, das Gottschaldt aus der Praxis heraus entwickelt hat. Denn er war selbst Alkoholiker gewesen.

Veröffentlicht:

Etwa acht Prozent der Ärzte in Deutschland - verglichen mit zweieinhalb Prozent der Gesamtbevölkerung - sind suchtkrank. Dieses Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen wird in einer Mitteilung der Oberbergkliniken zum Jubiläum zitiert.

Die meisten von ihnen sind Alkoholiker. Gefährdet seien vor allem Ärzte, die alleinverantwortlich arbeiten wie Hausärzte in ländlichen Gebieten, Chirurgen oder Anästhesisten, so Gottschaldt in einem Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". "In jeder Klinik sind mindestens ein Dutzend Ärzte Alkoholiker", ist seine Erfahrung. Ursachen seien persönliche Krisen, Prestige- oder Einkommensverlust, zu hohe Belastung. Die Sucht ist meist kein Geheimnis, wird aber von Kollegen und Familie vertuscht.

So war es auch bei ihm selbst: Der Neurologe war schon jung Chefarzt. Er erkrankte an einem Burn-out-Syndrom und wurde zum Alkoholiker. "Ich wurde vom Oberarzt, von der Chefsekretärin und anderen gedeckt, das hat meine Krankheit verlängert." Als er 43 Jahre alt war, ließ er sich pensionieren und ging in eine Suchtklinik. "Noch in der stationären Therapie habe ich aufgeschrieben, wie’s besser gemacht werden müßte." Er entwickelte ein Konzept, und kurz drauf war er trocken und Chefarzt der ersten Oberbergklinik.

"Sucht ist ein emotionales Phänomen, Süchtige müssen emotional behandelt werden", so erklärt Gottschaldt sein Konzept. Für den Erfolg der Behandlungen von Ärzten sei außerdem wichtig, daß jederzeit sofort mit der Therapie begonnen werden kann, daß die Therapie in einem Zeitraum stattfindet, der mit den beruflichen Erfordernissen in Einklang zu bringen ist, daß die Behandlung die Unterstützung der Kammern und der KVen hat und daß eine bundesweit organisierte, klinikverbundene Nachbehandlung ebenso angeboten wird wie eine sofortige Wiederaufnahmegarantie bei posttherapeutischen Problemen.

Die Therapie ist intensiv, individuell und kurz. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt sechs bis acht Wochen. Wer will, kann anonym bleiben.

Das Angebot für suchtkranke Mediziner, das die Oberbergkliniken - es gibt inzwischen drei - entwickelt haben, ist in Deutschland einzigartig. Seit Anfang der 90er Jahre arbeiten die Kliniken mit den Ärztekammern zusammen. Ziel ist die berufliche Wiedereingliederung der Ärzte. Die Rückfallquote der aus seinen Kliniken entlassenen Ärzte sei viel geringer als bei den anderen Patienten, so Gottschaldt. Die meisten könnten sofort in ihren Beruf zurück.

Gottschaldt selbst ist vor sechs Jahren bei einem Flugzeugabsturz gestorben. Seither ist seine Frau, die Ärztin Dr. Edda Gottschaldt, Geschäftsführerin der drei Kliniken. "Vor 20 Jahren wurde das aus der Praxis heraus entwickelte innovative Konzept von der führenden psychotherapeutischen Lehrmeinung als ,Gemischtwarenladen‘ abgewertet", so Edda Gottschaldt, "heute ist es etabliert und gilt als der Königsweg."

Zum Jubiläum gibt es heute in Berlin ein Wissenschaftssymposium.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Rauchfreies Europa?

Rauchstopp: EU hat neben Tabak auch Nikotin im Blick

Das könnte Sie auch interessieren
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Prognostizierbares Therapieansprechen?

© Stockbyte | gettyimages (Symbolbild mit Fotomodellen)

Antidepressiva

Prognostizierbares Therapieansprechen?

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Depression und Schmerz gehen häufig Hand in Hand

© brizmaker | iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Depressionsscreening

Depression und Schmerz gehen häufig Hand in Hand

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: FIB-4 1,3: numerische 26%ige Risikoreduktion der 3-Punkt-MACE durch Semaglutid 2,4mg

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [17]

Kardiovaskuläre, renale und hepatische Komorbiditäten

Therapie der Adipositas – mehr als Gewichtsabnahme

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novo Nordisk Pharma GmbH, Mainz
SCD-PROTECT-Studie-- Frühe Phase nach Diagnose einer Herzinsuffizienz – deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Herztod als in der chronischen Phase.

© Zoll CMS

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Abb. 2: Schneller Wirkeintritt von Naldemedin im Vergleich zu Placebo in den Studien COMPOSE-1 und COMPOSE-2

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [15]

Opioidinduzierte Obstipation

Selektive Hemmung von Darm-Opioidrezeptoren mit PAMORA

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Viatris-Gruppe Deutschland (Mylan Germany GmbH), Bad Homburg v. d. Höhe
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Der positive Jahresrückblick

Diese guten Nachrichten gab es 2025 im Gesundheitswesen

Lesetipps
Eine Person hält drei Figuren in den Händen

© Suriyo/stock.adobe.com

Man kann nicht nicht führen

Mitarbeiterführung in der Arztpraxis: Tipps für Praxisinhaber

Frau telefoniert

© Matthias Balk / picture alliance

Kontakt mit Patienten

Arztpraxis ohne Telefon: Kann das funktionieren?