An die einstige Horror-Droge Crack hat man sich in Frankfurt gewöhnt

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"Wer hier am Bahnhof rumhängt, der nimmt auch Crack." Der städtische Sozialarbeiter Martin Dörrlamm macht sich keine Illusionen über die Gewohnheiten der mehrere hundert Süchtigen, die jeden Tag die Straßen am Frankfurter Hauptbahnhof bevölkern. Ohne Rücksicht auf die Folgen nehmen sie alles zu sich, was einen Rausch verspricht: Crack, Heroin, Amphetamine, durcheinander oder zusammen, geraucht oder gespritzt, dazu immer wieder Alkohol.

  Bei Junkies wird doppelt so oft Crack gefunden wie Heroin.
   

Crack kam Mitte der 90er Jahre als Horror-Droge aus den USA und hat sich in Deutschland nach Expertenmeinung nur in Hamburg und Frankfurt richtig breit gemacht.

Das mit einfachsten Mitteln chemisch modifizierte Kokain hat die Drogenszenen in den beiden Großstädten mit traditionell guten Verbindungen nach Südamerika gründlich umgekrempelt: Die Süchtigen sind extrem ruhelos, weil es beim Kokainkonsum keine Sättigungsgrenze gibt, wie der auf der Straße praktizierende Malteser-Arzt Joachim Krause immer wieder erfährt. Viele sind mit HIV und Hepatitis C-Viren infiziert, neuerdings ist auch wieder die Tuberkulose verbreitet. Der psychische Suchtdruck sei bei manchen so stark, daß sie Krankheiten und körperliche Gebrechen total vernachlässigten. "Sie sterben eher daran als direkt von der Droge."

Die von den eher ruhigen Heroin-Junkies weitgehend unbekannte Aggressivität hat zu einer immer engeren Zusammenarbeit zwischen den Drogenhilfeeinrichtungen und der Polizei geführt, die immer wieder in und vor den vier Druckräumen und weiteren Hilfe-Einrichtungen für Ordnung sorgen muß.

Dennoch haben sich im Frankfurter Bahnhofsviertel viele an Crack gewöhnt. "Raus kriegt man das hier nicht mehr", meint ein Polizist, der anonym bleiben möchte. Auch in Hamburg hat Crack dem Heroin den Rang abgelaufen. Im Jahr 2003 wurden dort Koks und Crack fast doppelt so häufig bei den Süchtigen gefunden wie Heroin.

Der Drogenexperte und Fachbuchautor Günther Amendt erwartet in den kommenden Jahren einen Anstieg des Kokainkonsums weltweit, während bei Heroin und Opium zumindest in Europa eine gewisse Marktsättigung eingetreten sei. Amendt tritt eigentlich für die komplette Freigabe illegaler Drogen ein, nur bei einer Substanz hat er nach eigenen Angaben "erhebliche Bauchschmerzen": "Bei der völligen Freigabe von Kokain hätte ich Angst vor den sozialen Konsequenzen."

Die lassen sich in Frankfurt an vielen Orten studieren: Bei den Elendsgestalten hinter der ersten Häuserreihe des Bahnhofs, die sich um den kleinsten Brocken Crack balgen und ständig Geld beschaffen müssen, bei den 14jährigen Huren oder bei schicken Partys, auf denen Bestverdiener ihre "Super-Egos" pflegen, wie Amendt sagt. Es seien bereits etliche Vermögen in Rauch aufgegangen, meint auch Streetworker Dörrlamm von der Jugendhilfe.

"Doch eines ist nicht passiert: daß durch Crack massenweise sozial integrierte Leute in die Szene abgerutscht sind." Die Zahl der bekannten Süchtigen ist mit etwa 4000 Betroffenen ungefähr gleich geblieben, längst nicht alle leben auf der Straße, doch fast alle nehmen Crack.

Für zusätzlichen Streß in der Szene sorgt derzeit die Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2006. Die Junkies befürchten, am Sitz des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und wichtigen Spielort Frankfurt aus der Stadt gejagt zu werden.

Mißtrauisch wird das neue Städtische Projekt "Ossip" beäugt, das sich trotz Kürzungen bei anderen Angeboten "offensive Sozialarbeit" und Prävention auf die Fahnen geschrieben hat. Fünf Sozialarbeiter sind unterwegs, um Krawalle vor den Druckräumen zu verhindern und einzelnen Süchtigen Hilfen anzubieten. "Wir haben Schlimmeres verhindert", meint die Vorsitzende der Integrativen Drogenhilfe, Gabi Becker. (dpa)

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