Nicht wegsehen, wenn Kinder trinken!

Alkoholmissbrauch ist ein brennendes Problem der Kinder- und Jugendmedizin geworden. Betrunkene Minderjährige haben ein hohes Risiko für Unfälle, Missbrauch und Abhängigkeit. Ärzte fordern, dass Abgabeverbote im Jugendschutz konsequenter eingehalten werden.

Von Lajos Schöne Veröffentlicht:
Wenn Jugendliche Alkohol trinken, dann immer extremer, mehr und schneller.

Wenn Jugendliche Alkohol trinken, dann immer extremer, mehr und schneller.

© Markus Bormann / fotolia.com

Jedes Wochenende werden bundesweit im Mittel 140 Kinder mit Alkoholvergiftungen in Kliniken eingewiesen. Diese Zahl hat sich binnen acht Jahren fast verdreifacht. 160 000 Kinder und Jugendliche sind bei uns durch Alkoholmissbrauch und Abhängigkeit gefährdet. Jugendschutz muss ernster genommen und Bestimmungen müssen konsequenter angewendet werden, fordert daher die Stiftung Kindergesundheit.

Der Alkoholkonsum bei den unter 20-Jährigen ist in den letzten 40 Jahren zwar kontinuierlich zurückgegangen. Tranken in den 1970er-Jahren noch über 60 Prozent der 15- bis 17-jährigen Jungen in Bayern regelmäßig Alkohol, sank dieser Anteil bis 2008 auf 23 Prozent.

Auch der Anteil von 12- bis 17-Jährigen mit Koma-Saufen oder Binge Drinking hat sich von 26 Prozent im Jahr 2007 auf 20 Prozent im Jahr 2008 verringert, so eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Gleichzeitig steigt aber der Anteil derjenigen, die sich bis zum Vollrausch betrinken. Wer trinkt, trinkt also immer extremer, mehr und schneller.

Binge Drinking ist als ein Alkoholkonsum definiert, der binnen zwei Stunden eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,8 Promille erzeugt, berichtet Professor Berthold Koletzko, der Vorsitzende der Stiftung.

Die Folge ist nicht selten eine tiefe, länger dauernde Bewusstlosigkeit ohne Reaktionen auf Ansprache oder Schmerzreize. Eine Alkoholvergiftung hat für Kinder und Jugendliche schlimmere Folgen als für Erwachsene, betont die Stiftung. Ein Grund dafür: Das Enzym Alkohol-Dehydrogenase ist bei Kindern noch nicht gut wirksam.

Zudem trinken Kinder und Jugendliche meist nicht im Rahmen einer Mahlzeit, sondern mit dem Ziel, schnell betrunken zu werden. Akute Folgen einer Alkoholintoxikation können sein:

• Entgleisung im Säure-Base-Haushalt mit Hirnschwellungen und Nierenversagen;

• Kaliummangel, der zu Herzrhythmus-Störungen führen kann;

• Unterzuckerung; Unterkühlung und Erbrechen in Verbindung mit Reflexlähmungen und Gefahr eines Erstickungstodes;

• epileptische Anfälle und Hirninfarkte.

Die größte Gefahr von Alkohol bei Kindern und Jugendlichen sind nicht die drohende Abhängigkeit, sondern Unfälle, aggressive Entgleisungen, Schule schwänzen, betrunken Moped fahren, Streit, Schlägereien und Konflikte mit dem Gesetz. Für junge Mädchen steigt das Risiko, Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden, um das Dreifache.

"Die ersten Alkoholerfahrungen finden heute oft schon sehr früh statt - deshalb sollte auch die Prävention gegen Alkoholmissbrauch in einem frühen Stadium beginnen", sagt Koletzko. "Spätestens in der 5. bis 7. Schulklasse sollte Kindern auch die Gefährlichkeit von Fehlverhalten im Umgang mit Alkohol und Rauchen vermittelt werden."

Bis zum 14. Lebensjahr muss Alkohol tabu bleiben, betont die Stiftung. Danach sollten Heranwachsende am besten im eigenen Elternhaus lernen, mit Alkohol umzugehen. 14- bis 15-Jährige können bei besonderen Anlässen mit den Eltern ein Glas Sekt, Wein oder Bier probieren dürfen.

Ab dem Alter von 16 Jahren können Jugendliche Wein oder Bier konsumieren, während Spirituosen erst im Erwachsenenalter toleriert werden. Leider überlassen viele Eltern heute den Einstieg zum Alkoholgenuss meist dem Zufall, statt ihn im Kreis der Familie bewusst zu gestalten.

Befürwortet werden Maßnahmen, die einem Missbrauch vorbeugen können. Abgabeverbote von Alkohol an Kinder und Jugendliche sollten stärker überwacht und Übertretungen konsequent und empfindlich bestraft werden.

Werbung für alkoholische Getränke, die sich an Jugendliche richtet und Sponsoring sollte begrenzt werden, fordert die Stiftung. Der nächtliche Alkoholverkauf zum Beispiel an Tankstellen sollte - so wie in Baden-Württemberg und auch in vielen europäischen Ländern - verboten werden.

Tipps für Eltern zum Umgang mit Alkohol

Der wichtigste Wegweiser im Umgang mit Alkohol ist und bleibt das Elternhaus. Der Leitsatz lautet: Statt Abschreckung und Verbote auszusprechen, sollten Eltern selbst Vorbild sein. Ihnen kann empfohlen werden:

• Wenn ein Kind ohne ihr Wissen Alkohol getrunken hat, sollten Eltern sich Zeit nehmen für ein Gespräch in ruhiger Atmosphäre. Sie sollten das Kind nach den Gründen fragen und ihre eigene Sorgen formulieren.

• Eltern sollten ihre eindeutige Haltung zu dem Vorfall zum Ausdruck bringen und konsequent die Einhaltung verbindlicher Regeln verlangen.

• Auch wenn ein Kind oder ein Jugendlicher mit dem für dieses Alter typischen Protest reagiert, sollten Eltern dem Kind klarmachen: Alkohol ist nichts für Kinder. (eb)

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