HINTERGRUND

Weltraumtechnik hilft, Knochen und Muskeln von Kindern mit Glasknochenkrankheit zu stärken

Veröffentlicht:

von Philipp Grätzel von Grätz

Fitneßtraining einmal anders: Wie Fallschirmspringer zwängen sich die im Bett liegenden Männer in enge Schulter- und Hüftgurte und setzen dann die Füße auf eine schmale Platte am Fußende des Bettes. Zwei Handgriffe, die mit der Platte über Seile verbunden sind, dienen der Stabilisierung des liegenden Körpers. Auf Knopfdruck fängt das System an zu vibrieren. Mit der Rumpf- und Beinmuskulatur muß die Fußplatte jetzt mit aller Kraft nach unten gedrückt werden, immer wieder, drei, vier, fünf Minuten lang.

Die vibrierende Fußplatte ist Teil eines Fitneßgerätes namens Space-Galileo, das für das Training von Astronauten in der Schwerelosigkeit entwickelten wurde (wir berichteten).

Freiwillige verbrachten acht Wochen in der Horizontalen

Getestet wurde das Gerät in der Berliner BedRest-Studie, ein von der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA finanziertes Forschungsprojekt, bei dem zwanzig Freiwillige acht Wochen am Stück ausschließlich in der Horizontalen verbringen mußten. Ziel dieses Martyriums im Dienste der bemannten Raumfahrt war es, herauszufinden, ob sich der Abbau von Muskulatur und Knochen in der Schwerelosigkeit durch ein im Weltraum verwendbares Trainingsprogramm verhindern läßt.

Zehn Teilnehmer trainierten meist zweimal täglich wenige Minuten lang mit dem Space-Galileo. Die anderen zehn durften das nicht und dienten als Kontrollgruppe. Die Studienteilnehmer mußten Muskelbiopsien, Blutentnahmen und quantitative Computertomographie des Bewegungsapparats über sich ergehen lassen. Sie durften nur die Oberarme bewegen. Aufstehen war nicht erlaubt.

Das Ergebnis begeistert Professor Dieter Felsenberg vom Zentrum für Muskel- und Knochenforschung an der Charité Berlin: "Wir konnten zeigen, daß es möglich ist, bei immobilisierten Menschen nicht nur den Muskelabbau zu verhindern, sondern sogar zum Aufbau der Muskulatur beizutragen", so Felsenberg. In der Trainingsgruppe blieb die maximale Sprungkraft konstant, in der Kontrollgruppe nahm sie hingegen um zehn Prozent ab.

Auch die mittels quantitativer Computertomographie am Schienbein bestimmte, trabekuläre Knochenmasse blieb dank Training fast vollständig erhalten. In der Kontrollgruppe nahm dieser Wert um 4,5 Prozent ab, ein signifikanter Unterschied. Felsenberg: "Wir haben damit den direkten Zusammenhang zwischen Muskel- und Knochenabbau bewiesen und gezeigt, daß intensives Training nicht nur auf die Muskulatur, sondern auch auf die Knochen wirkt."

Für die Weltraumforschung sind die Ergebnisse der BedRest-Studie und ähnliche, bei Liegestudien im französischen Toulouse erzielte Resultate von großer Wichtigkeit, machen sie doch bemannte Langzeitflüge im Weltraum zumindest von einem bewegungsphysiologischen Gesichtspunkt aus machbar. Bei einer bemannten Reise zum Mars etwa fürchten Weltraummediziner unter anderem Knochenbrüche, wenn die Astronauten nach zwei Jahren in der Schwerelosigkeit die ersten Schritte im Schwerefeld des neuen Planeten unternehmen.

20 Kinder trainieren sechs Monate Rumpf- und Beinmuskeln

Doch nicht nur Weltraummediziner, auch andere Ärzte interessieren sich für die Forschungsergebnisse der Berliner Muskel- und Knochenexperten. Die Möglichkeit, Muskeln und Knochen parallel zu stärken, macht den Space-Galileo zum Beispiel für Kinderärzte interessant, die Patienten mit angeborener Glasknochenkrankheit, der Osteogenesis imperfecta, behandeln.

Kinder mit diesem Defekt in der Kollagensynthese haben extrem brüchige Knochen und sind deswegen ab einem Alter von etwa zwei Jahren an den Rollstuhl gebunden. "Wir haben für eine Studie, die gerade beginnt, das Galileo-System an einen Kipptisch gekoppelt", wie Professor Eckhard Schönau von der Universität Köln auf dem Forum "Knochen und Muskeln - Neue Welten" in Berlin berichtet hat.

Die Idee: Die zunächst 20 Kinder sollen zunächst in der Horizontalen, später mit Hilfe des Kipptischs zunehmend aufgerichtet, sechs Monate lang zweimal täglich mit der immer schneller vibrierenden Platte trainieren, um so gezielt die Rumpf- und Beinmuskulatur aufzubauen und den Knochen auf diesem Weg zu stärken. "Unser ehrgeiziges Ziel ist es, den Kindern damit das Stehen oder sogar Gehen zu ermöglichen", sagte Schönau.

Bereits verwendet werden ähnliche Vibrationsplatten in der Geriatrie. So berichtete Dr. Martin Runge aus Esslingen von einer noch nicht veröffentlichten Studie, in der sechzig Pensionäre des Unimog-Werks von Daimler Chrysler in Gaggenau zweimal wöchentlich jeweils neun Minuten mit einer vibrierenden Fußplatte trainierten. Dadurch schnitten die Teilnehmer bei Tests, mit denen sich das individuelle Sturzrisiko ermitteln läßt, deutlich besser ab.

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