Nierenlebendspende

Eine Erfolgsstory

Die Lebendspende von Nieren ist eine Erfolgsgeschichte - und rettet jedes Jahr unzählige Leben. Zwei Entwicklungen könnten ihr Potential noch einmal deutlich verändern.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Vorbereitung zur Nierentransplantation.

Vorbereitung zur Nierentransplantation.

© horizont21 / fotolia.com

KÖLN. Die Zwillinge Lana und Johanna Nightingale sind zwölf Jahre alt, als Nephrologen einen schwerwiegenden Befund erheben: Johannas Nierenfunktion beträgt nur noch zehn Prozent.

Es sind die Folgen einer schweren, Jahre zurückliegenden Infektion mit Streptococcus pyogenes, die zum terminalen Nierenversagen bei dem Mädchen geführt haben.

Im Jahr 1960, als die Familie von der Diagnose erfährt und die Dialyse noch nicht etabliert ist, bedeutet der Befund praktisch ein Todesurteil.

Professor Joseph Murray, Pionier auf dem Gebiet der Nierentransplantation am Brigham and Women's Hospital in Boston, Massachussetts, erinnert sich mehr als fünfzig Jahre später an das Beratungsgespräch, das er 1960 mit der Mutter der Zwillinge führt (NEJM 2012; 366: 1564).

Es wird über eine medizinisch mögliche Nierenlebendspende gesprochen: von Lana an ihre eineiige Zwillingsschwester.

"Eine Nierenspende - genau das machen wir."

Würde die genetische Identität bestätigt, wären Abstoßungsreaktionen ausgeschlossen. Aber Murray erläutert der Mutter die ethischen und rechtlichen Hürden: Bislang hatte es erst zwölf Nierenlebendspenden gegeben.

Nur einmal waren Spender und Empfänger minderjährig, sie hatten die Erlaubnis eines Gerichts benötigt.

Lana hört Wortfetzen des Gesprächs durch die geschlossene Tür. Schnurstracks betritt sie das Zimmer: "Eine Nierenspende - genau das machen wir, keine Frage."

Nachdem drei Gerichte die Nierenspende des Mädchens abgelehnt hatten, befasste sich der Supreme Court of Massachusetts mit dem Fall: "Was würdest du tun, wenn das Gericht dein Anliegen zurückweist?", wird Lana gefragt.

"Ich werde zu einem höheren Gericht gehen", antwortet Lana. Das Gericht stimmt zu. Am 28. Dezember 1960 operiert Murray die Mädchen.

Die beiden Frauen sind heute 64 Jahre alt, mehrfache Mütter, und Lanas Niere funktioniert noch immer, weltweit die längste Funktionszeit eines transplantierten Organs.

Die Nierenlebendspende ist in den westlichen Ländern längst Routine, mangels postmortaler Organe mit steigender Tendenz.

Kritisch sieht Professor Ulrich Kunzendorf, Direktor der Klinik Innere Medizin IV am Campus Kiel, dabei Nierenexplantationen von Spendern mit therapiebedürftigen Krankheiten, wie sie ebenfalls schon in Einzelfällen akzeptiert worden sind.

"Wenn zur stabilen Blutdruckeinstellung mehr als ein Medikament benötigt wird, ist dies keine gute Voraussetzung, eben so wenig bei anderen kardiovaskulären Risikofaktoren oder Diabetes", sagte Kunzendorf der "Ärzte Zeitung".

Auch eine Proteinurie oder eine geschätzte glomeruläre Filtrationsrate von 60/ml/min/1,73 m2 halte er für ungünstig, denn der Wert halbiere sich unmittelbar postoperativ.

Anders als in Deutschland sind in vielen Ländern auch anonyme Cross-over- oder Poolspenden möglich. So hat im vergangenen Jahr ein 44-jähriger US-Bürger eine Kette von 30 Lebendorganspenden zwischen August und Dezember 2011 angestoßen (BMJ 2012; 344: 2).

Das von einem privaten Geldgeber geförderte National Kidney Registry hat derzeit circa 350 potenzielle Spender-Empfänger-Paare gelistet, für die nach HLA-verträglichen Kombinationen gesucht wird.

Und kürzlich wurde an der Northwestern University von Chicago erstmals eine lebend gespendete Niere innerhalb von 14 Tagen zwei Mal transplantiert (NEJM 2012; 366:1648).

Ein 27-jähriger Mann mit fokaler segmentaler Glomerulosklerose (FSGS) hatte ein Organ seiner gesunden jüngeren Schwester erhalten.

Es kam aber, wie bei circa 30 bis 40 Prozent der Patienten mit FSGS und Nierentransplantation, zu einer Erkrankung in der verpflanzten Niere, wie eine Biopsie am sechsten Tag nach Op ergab.

Das Organ wurde am Tag 14 wieder entfernt und nach Zustimmung des ersten Empfängers und einer Ethikkommission einem 66-jährigen Wartepatienten implantiert: mit guter initialer Funktion und nach acht Monaten postoperativ ohne Zeichen einer FSGS.

Effekt auf Selektion von Spendern und Empfängern

Die 5-Jahres-Funktionsraten lebend gespendeter Nieren liegen in Deutschland mit 85,6 Prozent deutlich über denen postmortal gespendeter Nieren (71,1 Prozent; zitiert nach: Jahresbericht DSO 2011).

Zwei medizinische Entwicklungen könnten das Potential der Lebendspende und damit auch die Selektion von Spendern und Empfängern künftig noch einmal deutlich verändern: Zum einen die Möglichkeiten der Desensibilisierung bei HLA- und ABO-inkompatiblen Empfängern, wie sie sich auch in Deutschland etabliert (NEJM 2011; 365:318; Transplantation 2010; 90: 645).

Zum anderen sind es die sich abzeichnenden klinischen Erfolge der partiellen oder kompletten Toleranzinduktion bei allogener Nierentransplantation.

So ist es der Gruppe um Joseph Leventhal von der Northwestern University of Chicago bei fünf von acht Empfängern lebend gespendeter Nieren gelungen, einen dauerhaften Chimärismus mit immunologischer Toleranz gegenüber dem Transplantat zu induzieren und die Immunsuppression nach einem Jahr komplett auszuschleichen, ohne Abstoßungen (Sci Translational Med 2012; 4: 124ra28).

Eine Minderung der Nebenwirkungsrisiken, wie sie die immunsuppressive Erhaltungstherapie birgt, könnte den Pool potentieller Empfänger und Spender noch einmal deutlich erweitern, so die Autoren.

Viele Lebendspender sind über 60 Jahre alt

Stammten Anfang der 90er Jahre in Deutschland 2,7 Prozent der übertragenen Nieren von einem Lebendspender, so waren es im vergangenen Jahr 27,9 Prozent (Jahresbericht der DSO 2011).

Da die Entwicklung der Immunsuppression die allogene Organtransplantation ermöglicht, sind die Spender heute Erwachsene, die Altersgrenze verschiebt sich immer weiter nach oben: Auch 70- oder 80jährige Menschen werden als Nierenspender akzeptiert.

So war am Uniklinikum Essen in den vergangenen zehn Jahren jeder sechste Nierenlebendspender mindestens 60 Jahre alt. "Ältere Spender kann man aus medizinischer Sicht dann akzeptieren, wenn sie gesund sind", meint Professor Ulrich Kunzendorf, Direktor der Klinik Innere Medizin IV am Campus Kiel.

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