Harninkontinenz

Paradigmenwandel bei Therapie

Erkenntnisse aus neuen Studien können den Eintritt des maximal möglichen Therapieerfolges bei Harninkontinenz beschleunigen.

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BERLIN. Ungefähr 2,9 Millionen Frauen sind in Deutschland von signifikanter Harninkontinenz betroffen. Die Folgen, erhebliche Einschränkungen im Alltag, Vereinsamung und bei Älteren sogar der Zusammenbruch der häuslichen Versorgung mit der Folge der Unterbringung in einem Pflegeheim, sind gut bekannt.

Daten aus Großbritannien zeigen, dass ältere Frauen seltener als jüngere Frauen gemäß den Richtlinien behandelt werden.

Die Empfehlungen sowohl der deutschen wie auch der niederländischen Fachgesellschaften hätten der Therapie über viele Jahre Paradigmen vorangestellt, die nach heutigem Kenntnisstand den zügigen Eintritt des maximal möglichen Behandlungserfolges verzögern können.

Darauf weist Privatdozent Dr. Gerold Link vom Maastricht University in Düren in einem Abstract zum 3. Interdisziplinären Beckenbodenkongress in Berlin hin.

Immer zuerst Beckenbodentraining?

So sei empfohlen worden, berichtet Link, dass

1. Beckenbodentraining grundsätzlich der erste Behandlungsschritt ist,

2. eine urodynamische Untersuchung jeder operativen Behandlung vorauszugehen hat,

3. bei Mischinkontinenz beziehungsweise Urgeproblematik operative Maßnahmen nur mit Zurückhaltung eingesetzt werden sollen, und

4. retropubische oder transobturatorische Schlingen gegenüber Minischlingen zu bevorzugen sind.

Neue Studien erfordern Umdenken

Neuere Studienergebnisse in allgemein anerkannten klinischen Zeitschriften aus den letzten drei Jahren hätten aber zu einem Wandel der klassischen Paradigmen geführt.

Link führt dazu im Einzelnen auf:

1. Patientinnen mit Stressinkontinenz, die primär durch Beckenphysiotherapie behandelt wurden, zeigen nach einjähriger Nachbeobachtung eine geringere subjektive (53 Prozent) und objektive Heilungsrate (59 Prozent) als Frauen mit primärer suburethraler Schlingenoperation (85 und 77 Prozent).

2. Der Prozentsatz erfolgreich operierter Patientinnen ist in einem Kollektiv, das präoperativ nur klinisch untersucht wurde, gleich groß wie bei Frauen, bei denen vor dem Eingriff zusätzlich eine urodynamische Untersuchung erfolgt ist (77,2 versus 76,9 Prozent).

3. Bei Mischinkontinenz wird die Harndrangkomponente mit und ohne Inkontinenz durch die suburethrale Schlingenoperation in 68 und 60 Prozent behoben. Das Risiko einer postoperativ persistierenden Drangsymptomatik ist aber erhöht, wenn präoperativ eine urodynamisch nachgewiesene Detrusorüberaktivität besteht.

4. Nach einjährigem Follow-up ist die Effektivität der Minischlingen den transobturatorischen Schlingen nicht unterlegen (TOT 95 Prozent, MiniArc 91 Prozent).

Das Fazit von Link: Wiewohl Physiotherapie eine effektive Behandlung sei, müsse sie nicht gesetzmäßig einer operativen Maßnahme vorausgehen. In unkomplizierten Fällen sei eine urodynamische Untersuchung präoperativ verzichtbar, bei Mischinkontinenz könne sie dagegen zur Einschätzung der postoperativen Situation beitragen.

Und: Die im Alter häufige Kombination von Stress- und Dranginkontinenz könne durch die suburethrale Schlingen-Op bei minimaler chirurgischer Belastung vielfach wirkungsvoll gelindert werden. (eb)

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