Immer mehr Ältere spenden Nieren

Auch über 60-jährige Nierenlebendspender werden inzwischen akzeptiert. Über die biologischen Grenzen dieser Organspenden gibt es aber offenbar keinen Konsens.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Für eine Transplantation vorgesehene Spenderniere.

Für eine Transplantation vorgesehene Spenderniere.

© dpa

REGENSBURG. Bei postmortalen Organspenden gibt es wegen des Mangels an Transplantaten keine Altersgrenze nach oben mehr: Es werden auch von 70- oder 80-Jährigen Nieren verpflanzt.

Und eine deutlich verminderte Funktion der Spendernieren lässt sich durch Übertragung beider Organe bei älteren Empfängern häufig auch in akzeptabler Weise ausgleichen.

Kein Konsens über biologische Grenzen der Nierenlebendspende

Nun werden zunehmend auch lebenden Organspendern über 60 Jahre Nieren für die Transplantation entnommen.

Unter bestimmten Voraussetzungen sei dies für die Spender sicher, war der Tenor bei der Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft in Regensburg. Über die biologischen Grenzen der Nierenlebendspende gibt es offenbar dennoch keinen Konsens.

An Uni-Klinik in Essen: 47 von 273 Spendern über 60 Jahre alt

Ein Beispiel: Am Uni-Klinikum Essen waren von 273 Nierenlebendspendern der vergangenen zehn Jahre 47 Spender mindestens 60 Jahre alt (bis 75 Jahre, Durchschnitt: 65 Jahre). Das berichtete Dr. Anja Gallinat aus Essen. Bei 55 Prozent der älteren Lebendspender war das Organ für deren Kinder bestimmt, bei 30 Prozent für einen Lebenspartner. Bei den übrigen gab es andere emotionale Bindungen.

Präoperativ hatten die 47 Spender - 20 davon waren Männer - einen BMI zwischen 19 und 30, das Serumkreatinin betrug durchschnittlich 1 mg/dl, die 2-Stunden-Kreatinin-Clearance durchschnittlich 86 (61 bis 122) ml/min/1,73 m2 Körperoberfläche.

Ein Teil der Spender war gesund, ein anderer hatte therapiebedürftige Erkrankungen: 62 Prozent Bluthochdruck, der mit einem bis drei Medikamenten stabil eingestellt wurde. 27 Prozent der Spender hatten eine Hypercholesterinämie.

Nierenfunktion war leicht eingeschränkt

Die Spender blieben im Zusammenhang mit der Explantation 5 bis 23 Tage stationär, durchschnittlich sieben Tage. Bei Entlassung lag der Serumkreatininwert zwischen 0,8 und 1,9 mg/dl, durchschnittlich bei 1,4 mg/dl. Bei sechs Spendern (12,8 Prozent) kam es postoperativ inzisionsbedingt zu Komplikationen wie Serome, Granulome, subkutane Nachblutungen und Narbenbrüche.

Ein Spender starb an einer Darmperforation, die übrigen lebten - bei einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 5,8 Jahren. Das Serumkreatinin betrug fünf Jahre nach der Operation durchschnittlich 1,2 mg/dl mit einer Spannbreite zwischen 0,7 und 1,6 mg/dl. Die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) lag zwischen 35 und 61 ml/min/1,73 m2 und durchschnittlich bei 50 ml/min/ 1,73 m2.

Für Langzeitverlauf ältere Nierenspender richtig auswählen

Damit sei die Nierenfunktion zwar eingeschränkt, die Einschränkung habe jedoch keine unmittelbar negativen Folgen für die Spender gehabt, berichtete Gallinat. Würden ältere Nierenspender richtig ausgewählt, sei auch für sie die Explantation einer Niere im Langzeitverlauf sicher.

Ob allerdings eine eGFR von 61 ml/min/1,73 m2., wie sie ein Spender präoperativ hatte, noch akzeptabel sei, wurde in der Diskussion kritisch hinterfragt. Immerhin liegt bei einer GFR zwischen 60 und 89 ml/min/ 1,73 m2. nach der ICD-10-Klassifikation von 2010 eine Niereninsuffizienz im Stadium II vor, unter 60 Jahre ist es bereits Stadium III.

Auch ein Hypertonus, der sich nur mit mehreren Arzneien kontrollieren lasse, sei keine gute Voraussetzung, hieß es.

Proteinurie muss vor der Op ausgeschlossen werden

"Ältere Spender kann man aus medizinischer Sicht dann akzeptieren, wenn sie gesund sind", sagte Professor Ulrich Kunzendorf, Direktor der Klinik Innere Medizin IV am Campus Kiel, zur "Ärzte Zeitung".

Werde zur stabilen Blutdruckeinstellung mehr als ein Medikament benötigt, seien dies keine guten Voraussetzungen für die Nierenspende, ebenso wenig andere kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Diabetes.

"Eine eGFR von 60 ml/min/1,73 m2 halte ich persönlich für zu niedrig, um eine Niere zu entfernen", sagte Kunzendorf. Schließlich halbiere sich der Wert unmittelbar postoperativ. Bei einer Lebendspende sollte nach Meinung von Kunzendorf auch eine Proteinurie ausgeschlossen sein.

Flächendeckendes Lebendspenderegister mit Daten zum Langzeitverlauf

Grundsätzlich bedürfe es eines flächendeckenden Lebendspenderegisters mit Daten zum Langzeitverlauf, um die Risiken für die Spender gut prognostizieren zu können. "Weder die Nachsorge der Spender, obwohl gesetzlich festgelegt, noch ein solches Register wird derzeit finanziert", moniert der Nephrologe.

Von den 47 Empfängern der Analyse starben acht in der Nachbeobachtungszeit, darunter sechs mit funktionierendem Transplantat: einer knapp sieben, der zweite zehn Monate postoperativ. Das Fünf-Jahres-Patientenüberleben sei mit 87 Prozent eher eingeschränkt gewesen, bewertete Gallinat dieses Ergebnis.

Die um die Sterbefälle korrigierte Transplantatfunktionsrate sei jedoch mit 95 Prozent nach fünf Jahren sehr gut. Bei der Selektion der Empfänger gelte es, darauf zu achten, dass sie eine Lebenserwartung von wenigstens zwei Jahren hätten.

Derzeit stammt in Deutschland etwa jede vierte transplantierte Niere von einem Lebendspender. Darüber, wo die Grenzen der Risiken für Lebendspender liegen sollen, sind sich Ärzte nicht einig.

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