Weltweit fehlt Milliarden Menschen das Geld für einen Arztbesuch

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:

Zu spät: Der Familienvater aus Ruanda erreicht zwar noch das Krankenhaus, doch wenig später stirbt er an einem Blinddarmdurchbruch, die Ärzte können nicht mehr helfen. Zu lange hat der Mann gezögert, zu lange seine Schmerzen ignoriert. Eine Krankenhausbehandlung? Viel zu teuer, womit soll er sie bezahlen?

Schließlich ist dann doch nach langem Zögern die einzige Kuh der Familie auf dem Markt verkauft worden - unter großem Zeitdruck, deshalb hat sie nur einen Bruchteil des Geldes gebracht, das unter normalen Umständen zu erwarten gewesen wäre. Mit dem Erlös ist die Krankenhausbehandlung finanziert worden. Doch jetzt steht der Rest der Familie vor dem Ruin: der Vater ist tot, die Kuh als Produktionskapital ist verkauft, das Geld ist weg, der rasante Fall in die Armut ist nicht mehr zu verhindern.

Jahr für Jahr geraten Menschen in bittere Armut

Der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) Dr. Bernd Eisenblätter hat diese Geschichte bei einer Konferenz über soziale Krankenversicherungen in Entwicklungsländern geschildert. Das Schicksal der jungen Familie aus Ruanda ist kein Einzelfall. Nach Schätzungen der WHO stürzen Jahr für Jahr weltweit 100 Millionen Menschen ins soziale Nichts, weil sie für dringend notwendige medizinische Leistungen zahlen müssen und dabei ihre ökonomische Existenz vernichten.

Die G-8-Staaten haben bei ihrem Gipfel im vergangenen Jahr in St. Petersburg klargestellt, dass dieses Problem "durch eine breite Palette von Finanzierungsoptionen, darunter Krankenversicherungsprogramme" wirkungsvoll bekämpft werden muss. "Wir befürworten eine intensivere Diskussion auf internationaler Ebene über praktische Strategien zur Ausweitung staatlicher, privater und gemeinschaftlicher Krankenversicherungen in den Entwicklungsländern", heißt es im Abschlussprotokoll von St. Petersburg.

Kein Zweifel, es besteht Handlungsbedarf: 1,3 Milliarden Menschen weltweit ist der Zugang zu einer effektiven und bezahlbaren Gesundheitsversorgung versperrt.

Die GTZ leistet in mehreren Ländern Afrikas Aufbauarbeit bei der Entwicklung von Krankenversicherungssystemen. Solidarisch gestaltete und fair finanzierte Gesundheitssysteme sind im Idealfall das Ziel; Versorgungsmodelle, die nachhaltig wirken und mit denen es gelingen soll, Verarmung zu verhindern und den Teufelskreis von Armut und Krankheit aufzubrechen. "Das muss im jeweiligen Landeskontext geschehen, es gibt hier keine Blaupause", stellt Dr. Matthias Rompel klar, Projektleiter für Systeme sozialer Sicherheit bei der GTZ. Jedes System, sagt Rompel, müsse sich behutsam an die Bedingungen am jeweiligen Ort anpassen.

Klar ist aus Erfahrungen der GTZ: Eine direkte finanzielle Unterstützung für die Armen ist nicht immer die beste Strategie. Effektiver auch mit Blick auf die entstehenden Kosten ist es offenbar, Geld zielgerichtet in andere Kanäle zu lenken: In die Absicherung der Bevölkerung gegen gesellschaftliche und vor allem krankheitsbedingte Risiken - verknüpft mit Investitionen in Bildung und Infrastruktur.

WHO drängt G-8-Staaten zu globalen Initiativen

David de Ferranti, bis 1995 Vizedirektor der Weltbank, und Julio Frenk, Arzt, Ex-Gesundheitsminister von Mexiko und WHO-Exekutivdirektor, haben die G-8-Staaten aufgefordert, darauf zu drängen, dass globale Initiativen unmittelbar in die Stärkung nationaler Gesundheitsfinanzierungssysteme fließen müssen. Dabei müssten auch Vergleichswerte festgelegt werden, welchen Anteil der Gesundheitsausgaben Menschen aus der eigenen Tasche zu zahlen haben und wieviel auf Finanzierungsformen mit besserer Verteilung der Lasten entfallen muss.

De Ferranti und Frenk gehören zur "Health Financing Task Force", einer gemeinnützigen Organisation, die Entwicklungsländer fit machen will für effiziente Gesundheitsversorgung. "Die ärmsten Bewohner dieses Planeten tragen die größte Krankheitslast", kritisieren sie. Mehr als drei Fünftel der gesamten Gesundheitsausgaben in armen Ländern bringen Kranke aus der eigenen Tasche auf.

Das hat fatale Konsequenzen für Menschen, die bei dringend notwenigen Behandlungen das nötige Geld nicht beschaffen können. De Ferranti und Frank verweisen auf Berichte der Organisation "Human Rights Watch" über die Situation zum Beispiel in Burundi: Wenn Kranke dort in Regierungskliniken ihre Rechnungen nicht vor Ort bezahlen können, werden sie routinemäßig eingesperrt und zuweilen monatelang unter miserablen Bedingungen festgehalten.

Weitere Informationen: www.gtz.de und www.healthfinancingtaskforce.org

Lesen Sie dazu auch: Versprochene Hilfen gegen Aids kommen oft nicht an Mehr als fünf Millionen Aidskranke warten weiter auf Hilfe Ohne Ärzte helfen auch günstige Arzneien nichts G-8-Agenda



Ruanda im Fokus

Ruanda mit seinen 8,9 Millionen Einwohnern, einer HIV/Aids-Prävalenz von 13,7 Prozent und einer hohen Säuglingssterblichkeit ist exemplarisch für die Gesundheitsmisere in Afrika. Das Parlament hat zwar die Einführung einer Krankenversicherung beschlossen, die Umsetzung des Projekts steht aber noch aus. Derzeit werden nur etwa fünf Prozent der Ruander von einer staatlichen oder betrieblichen Krankenversicherung erfasst. Die GTZ versucht, lokale Versicherungssysteme aufzubauen. Die Prämie für eine Basisversicherung ist aber vielen Familien zu hoch. Zudem werden Verträge mit Gesundheitseinrichtungen abgeschlossen, um die Qualität der Versorgung zu verbessern.

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