Hintergrund

Stromstöße vertreiben das Gewitter im Gehirn

Epilepsie-Kranken kann mit der Tiefenhirnstimulation geholfen werden. Das zeigen jetzt erste Studienergebnisse. Die Zahl der Anfälle wurde meist deutlich gesenkt, einige Betroffene wurden komplett anfallsfrei.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Gewitter im Gehirn: Jeder dritte Epilepsie-Patient spricht nicht oder nicht ausreichend auf Antikonvulsiva an.

Gewitter im Gehirn: Jeder dritte Epilepsie-Patient spricht nicht oder nicht ausreichend auf Antikonvulsiva an.

© chrisharvey / fotolia.com

Die Tiefenhirnstimulation scheint zumindest bei einem Teil der Epilepsie-Patienten, die auf Medikamente nicht ansprechen, gut zu wirken. Darauf deuten erste Studien.

Bei etwa einem Drittel der Epilepsie-Kranken zeigen Antikonvulsiva keine oder keine ausreichende Wirkung. Handelt es sich um fokale Anfälle, so kann man zumindest bei einem Teil der Betroffenen den Anfallsherd herausschneiden oder zerstören.

Doch auch eine Operation ist nicht immer erfolgreich und zudem mit dem Risiko für Gehirnschäden verbunden.

Stimulation des vorderen Thalamuskerns ist vielversprechend

Als vielversprechend hat sich bei fokalen Epilepsien nun eine Stimulation des vorderen Thalamuskerns erwiesen. Darauf hat Professor Christian Elger von der Klinik für Epileptologie in Bonn hingewiesen.

Dieser Kern ist in Schaltkreise wie dem Papez-Kreis involviert, der die Entstehung und Ausbreitung von Anfällen begünstigt.

Die Stimulation dieses Thalamuskerns soll eine Synchronisierung von Nervenzellen- und Zentren verhindern, wie sie bei einem epileptischen Anfall stattfindet, sagte Elger auf dem Neurologenkongress in Wiesbaden.

Der vordere Thalamuskern ist auch das Ziel bei der bereits etablierten Parkinson-THS.

Hirnstimulation verringerte Zahl der Anfälle deutlich

Optionen der Tiefenhirnstimulation

Zur Tiefenhirnstimulation (THS) werden eine oder zwei Elektroden im Gehirn platziert. Diese sind über subkutan verlegte Drähte mit einem batteriebetriebenen Impulsgeber im Bereich der Brust oder des Oberbauchs verbunden.

Der Impulsgeber gibt dauerhaft elektrische Impulse an die Zielregion im Gehirn ab. Bei Epilepsie besteht damit zum Beispiel die Möglichkeit, einen epileptischen Fokus direkt zu stimulieren.

Die THS wird darüber hinaus bei mehreren anderen neurologischen Erkrankungen wie schweren Depressionen, Morbus Parkinson, Dystonien, Koma oder Clusterkopfschmerzen angewandt oder untersucht.

Elger stellte nun Daten einer ersten großen Studie zur THS bei Epilepsie vor. An der US-Studie mit der Bezeichnung SANTE hatten 110 Epilepsie-Patienten mit fokalen Anfällen teilgenommen, die nicht auf Medikamente angesprochen hatten.

Bei etwa der Hälfte von ihnen konnte zuvor auch eine Hirn-Operation oder Vagusnerv-Stimulation die Anfallsfrequenz nicht wirklich lindern, die Patienten hatten im Schnitt noch sechs Anfälle pro Monat.

Alle erhielten nun einen Stimulator implantiert, bei einem Teil erfolgte in den ersten drei Monaten keine Stimulation, diese Patienten dienten als Kontrollgruppe.

In dieser verblindeten Studien-Phase wurde ohne Stimulation die Zahl der Anfälle im Schnitt um 14,5 Prozent gesenkt, mit Stimulation dagegen um knapp 40 Prozent.

Zehn Patienten bleiben anfallsfrei

Nach drei Monaten wurde auch in der Kontrollgruppe stimuliert. Insgesamt sprachen nach einem Jahr etwa 40 Prozent der Behandelten auf die Therapie an, das bedeutet, bei ihnen sank die Anfallsfrequenz um mindestens 50 Prozent.

Bei den 74 Patienten, die nach drei Jahren noch an der Studie teilnahmen, lag die Ansprechrate sogar bei 57 Prozent, so Elger. Zehn Patienten bleiben anfallsfrei, 14 hatten über sechs Monate keine Anfälle mehr und knapp 20 Prozent konnten die Zahl der Anfälle um 90 Prozent reduzieren.

Nebenwirkungen waren Blutungen und Infektionen

Als Nebenwirkungen traten bei einigen Patienten nicht-symptomatische Hirnblutungen und Infektionen auf, bei zwei Patienten wurden Anfälle durch die Stimulation ausgelöst.

Zu Beginn der Therapie waren Depressionen in der Stimulationsgruppe häufiger als bei den Kontrollpatienten, der Unterschied verschwand aber nach einiger Zeit. Fünf Patienten starben, allerdings nicht im Zusammenhang mit dem Eingriff.

Ein Manko: Noch ist unklar, bei welchen der vielen Epilepsieformen das Verfahren am besten wirkt, so Elger. Er schätzt, dass etwa zehn Prozent der Patienten mit therapierefraktärer Epilepsie von der THS profitieren.

Für sie wäre das Verfahren mitunter eine Alternative zur Op. Eine genaue Phänotypen-Identifikation werde aber wohl nötig sein, damit die US-Behörde FDA die THS zur Epilepsie-Therapie zulässt.

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