Hintergrund

Diskussion um Naziopfer-Denkmal

Während des Nationalsozialismus wurden in Deutschland zehntausende geistig behinderte und psychisch kranke Menschen ermordet. Bislang gibt es viele einzelne kleinere Gedenkstätten. Nach dem Willen der Bundestagsfraktionen soll sich das ändern.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
In den Boden eingelassene Gedenktafel vor der Philharmonie in Berlin: Eine der Gedenkstätten an die Opfer des Massenmords "Aktion T 4" .

In den Boden eingelassene Gedenktafel vor der Philharmonie in Berlin: Eine der Gedenkstätten an die Opfer des Massenmords "Aktion T 4" .

© schöning / imago

Zwischen Januar 1940 und August 1941 fielen mehr als 70.000 Psychiatrie-Patienten sowie Menschen mit Behinderung einer systematischen Mordaktion der Nationalsozialisten zum Opfer.

An diese Opfergruppe erinnert derzeit in Berlin eine Gedenktafel, angebracht in der Tiergartenstraße 4.

Also an jenem Ort, an dem die Ermordung geistig und körperlich behinderter Menschen geplant wurde und nach dem dieser Massenmord seit Ende des Zweiten Weltkriegs "Aktion T 4" genannt wird.

Berliner Denkmal soll höheren Stellenwert erhalten

Das Denkmal soll nach Willen aller Bundestags-Fraktionen aufgewertet werden. Ein entsprechender Antrag wurde jetzt mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen in erster Lesung beschlossen.

Die Fraktion der Linken enthielt sich bei der Abstimmung; sie präferiert statt eines reinen Gedenkortes in der Tiergartenstraße 4 ein Gedenk- und Informationszentrum - ihr Änderungsantrag wurde jedoch von den anderen Fraktionen abgelehnt.

Vierte Gedenkstätte der "Aktion T 4" in Bau

An die Opfer des von den Nationalsozialisten zynisch "Euthanasie" ("guter Tod") genannten Massenmords erinnern derzeit drei Gedenkstätten an ehemaligen Mordanstalten der "Aktion T 4": Pirna in Sonnenstein (Sachsen), Grafeneck (Baden-Württemberg) und Hadamar (Hessen). Eine vierte Gedenkstätte befindet sich in Brandenburg an der Havel im Bau.

T4 steht für Tiergartenstraße 4

"Aktion T 4" ist ein erst in der Nachkriegszeit geprägtes Kürzel für den von den Nationalsozialisten begangenen Massenmord an mehr als 70 000 Psychiatrie-Patienten und Behinderten in der Zeit zwischen Januar 1940 und August 1941.

Das Kürzel verweist auf die Tiergartenstraße 4 in Berlin, wo die systematische Ermordung der Patienten in speziellen Gasmordanstalten geplant und koordiniert wurde.

Es gab sechs solcher Anstalten: Grafeneck in Gomadingen (Baden-Württemberg), Brandenburg in Brandenburg an der Havel, Sonnenstein in Pirna (Sachsen), Bernburg (Sachsen-Anhalt), Hadamar (Hessen) sowie Hartheim in Alkoven (Österreich).

Die Patienten wurden von den dort beschäftigten Ärzten und Pflegern vergast.

Zentrale Bedeutung für die Erinnerungskultur in Deutschland hat indes Berlin, das mit dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas, dem Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen sowie dem derzeit im Bau befindlichen Denkmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma bereits an drei Opfergruppen des NS-Terrors erinnert.

Gedenkort nicht nur für die T4-Opfer

Mit einem zentralen Gedenkort für die Opfer der so genannten Euthanasie will der Bund nicht allein an die im Zuge der "Aktion T 4" ermordeten Patienten erinnern.

Sondern auch an die mehr als 10.000 vermeintlich geistig Kranken, die von den Nazis zwischen September 1939 und April 1940 ermordet wurden. Und an jene Patienten, die in so genannten Heil- und Pflegeanstalten auch nach Abbruch der "Aktion T 4" noch mit Hilfe von Medikamenten und durch systematische Unterernährung ermordet wurden. Sowie an die vielen Opfer von Zwangssterilisation und anderen damit zusammenhängenden Verbrechen der Nationalsozialisten.

Gedenktafel, Plastik und Informationstafel

Zurzeit befinden sich in der Tiergartenstraße 4 eine in den Boden eingelassene Gedenktafel, eine nachträglich den Opfern der "Aktion T 4" gewidmete Plastik des US-Bildhauers Richard Serra sowie eine Informationstafel.

In Folge eines im Januar 2009 veranstalteten Symposiums zum Umgang mit dem historischen Gelände Tiergartenstraße 4 kündigte das Land Berlin an, einen Ideenwettbewerb für die künstlerische Umgestaltung des Geländes auszuloben.

Dieses Vorhaben haben die Bundestagsfraktionen bei ihrem im Kultur- und Medienausschuss erörterten Antrag zur Aufwertung des Gedenkorts aufgegriffen.

Viele unterschiedliche Auffassungen der Politiker

Über die inhaltliche Ausrichtung der Stätte gibt es jedoch unterschiedliche Auffassungen. Die Fraktion der Linken plädiert dafür, in den Räumlichkeiten der Tiergartenstraße 4 ein Informationszentrum zu errichten.

"Dies ist deswegen so wichtig, weil dieser Ort ausschließlich ein Täter-Ort war, den nie ein Opfer betreten hat", heißt es in der Begründung zu einem entsprechenden Änderungs-Antrag.

Die Angehörigen der Opfer und jene, die die Verfolgung überlebt hätten (vor allem Zwangssterilisierte), fänden dort keine mit ihrem Leid verbundenen Relikte.

Weiterleitung zur Topographie des Terrors

Dagegen setzen die anderen im Bundestag vertretenen Fraktionen den Fokus auf das Gedenken. Die SPD verweist auf die bereits bestehenden Informationsstätten und Museen in Berlin.

Die CDU/CSU regt an, das Denkmal in der Tiergartenstraße 4 mit einem Hinweis zu versehen, der Besuchern den Weg zur nahe gelegenen "Topographie des Terrors" weist, worin sich ein entsprechendes Informationszentrum zur "Aktion T 4" integrieren lasse. Dem schließen sich auch die Fraktionen der FDP und der Grünen an.

Die Planung und Umsetzung des Gedenkortes soll unter dem Dach der vom Bund getragenen Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" und unter Einbeziehung der Stiftung "Topographie des Terrors" erfolgen.

Die abschließende Lesung im Kultur- und Medienausschuss findet an diesem Donnerstag statt.

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