BÄK-Präsident: Sterbehilfe-Urteil ist kein Freibrief

Das Verbot zur Suizidbeihilfe in den ärztlichen Berufsordnungen ist verfassungswidrig - so hatten es jüngst Berliner Richter entschieden. BÄK-Präsident Montgomery glaubt aber nicht, dass das letzte Wort gesprochen ist. Das sehen Medizinethiker anders.

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BÄK-Präsident Montgomery: Urteil kein Freibrief.

BÄK-Präsident Montgomery: Urteil kein Freibrief.

© Alex Kraus

BERLIN (dpa/nös). Die Bundesärztekammer (BÄK) bewertet das Sterbehilfe-Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts nicht als Türöffner für Sterbehelfer.

Zuvor hatte der Mannheimer Medizinethiker Professor Jochen Taupitz die Hoffnung geäußert, das Ärzten, die Todgeweihten helfen wollten, mit dem Urteil ein "kleiner Türspalt" geöffnet wurde.

Die Bundesärztekammer hofft, dass sich höhere Gerichtsinstanzen mit dem Fall beschäftigen: "Wir haben ein Interesse daran, dass die Abgrenzung zwischen ärztlichem Berufsrecht und Verfassungsrecht durch die Instanzen geklärt wird", sagte der BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery der Nachrichtenagentur dpa.

Dabei würde es um die Frage gehen, welche beruflichen Schranken sich die Ärzteschaft selbst auferlegen darf.

Das Berliner Verwaltungsgericht hatte vergangene Woche Freitag im Fall eines Berliner Urologen geurteilt, dass das generelle Sterbehilfeverbot in der Berliner Berufsordnung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Die Kammer hatte dem Arzt im Jahr 2007 untersagt, einer schwer kranken Patientin aus Süddeutschland Medikamente zur Selbsttötung zu überlassen.

Entscheidung allein dem Arzt überlassen?

Das Urteil sei alles andere als ein Freibrief für Sterbehelfer, sagte Montgomery. Man sollte es nicht überinterpretieren. Es gebe in dem Richterspruch Passagen, die ein Verbot beruflicher oder organisierter Sterbehilfe für zulässig erklärten.

Medizinrechtler Taupitz, der dem Deutschen Ethikrat angehört, sagte hingegen der Nachrichtenagentur dpa, aus seiner Sicht sei die Ärzteschaft nicht gut beraten, wenn sie das Verbot der Beihilfe zum Suizid standesrechtlich festschreibe. Denn es spreche viel dafür, dass gerade Ärzte diese Aufgabe übernehmen sollten.

Obwohl das Berliner Urteil nur in dem konkreten Fall ergangen ist, gehen Juristen davon aus, dass es auch auf die Berufsordnungen der anderen Ärztekammern und die Musterberufsordnung der Bundesärztekammer übertragbar ist.

Der 114. Ärztetag in Kiel hatte vor knapp erst die einschlägigen Bestimmungen in Paragraf 16 der MBO verschärft.

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Kommentare
Lutz Barth 10.04.201208:11 Uhr

"Hobbyjuristen"

Selbstverständlich zählt Herr Taupitz nicht zu der Kategorie der sog. "Hobbyjuristen" und sollte dieser Eindruck entstanden sein, lag dies freilich nicht in meiner Intention. Die Reputation des Medizinrechtlers ist unbetritten.

Indes bezieht sich der Hinweis vielmehr auf diejenigen Oberethiker in unserem Lande, die da meinen, für eine "Kultur des Sterbens" eintreten zu müssen, ohne hierbei mit letzter Konsequenz das Selbstbestimmungsrecht der Patienten achten zu müssen. Zugleich ist diese Kritik an die BÄK gerichtet, die erkennbar ohne Not ihre Kollegenschaft in Gewissensnöte gestürzt hat.
In diesem Zusammenhang stehend wird sicherlich die Frage zu diskutieren sein, was die BÄK veranlasst hat,letztlich für ein derart striktes Verbot zu plädieren und hierfür die Initiative ergriffen zu haben. Es ist eben nicht ausgeschlossen, dass die BÄK die Bedeutung des Art. 4 GG (Gewissensfreiheit) im Verhältnis zur Standesethik nachhaltig verkannt hat, zumal ja gerade die erst kurz vor dem 114. Deutschen Ärztetag abgeänderten Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung den Schluss gebieten, dass mit den Änderungen der Meinungsvielfalt innerhalb der Ärzteschaft Rechnung getragen werden sollte. Die damaligen Verlautbarungen des ehemaligen Präsidenten der BÄK lassen hieran keinen Zweifel aufkommen. Von daher ist es schon interessant, der Frage nachzuspüren, warum hochrangige Ärztefunktionäre mit aller "Macht" ihr Ziel verfolgten, die im Kern notwendige Liberalisierung zu torpedieren und ein ethisches Zwangsdiktat begrüßten, welches dann auch Eingang in das ärztliche Berufsrecht gefunden hat.

Das Verhältnis zwischen Ethik und Recht ist durchaus spannungsgeladen, wenngleich eines doch hinreichend klar sein muss: Auch das ärztliche Berufsrecht wird sich an dem ethischen Grundstandard des Gundgesetzes messen lassen müssen und wie es scheint, legt hierauf der derzeitige Präsident der BÄK auch Wert.

Dass in dieser Frage allerdings nach wie vor die bei der BÄK eingerichtet Zentrale Ethikkommission "schweigt", dürfte zumindest Argwohn wecken. Immerhin ist dort profunder Sachverstand versammelt und es nimmt nicht wunder, dass u.a. der Medizinrechtler Taupitz in diesem Gremium mitwirkt.

Kann es sein, dass die hochrangige Ärztefunktionäre ein "feines Gespür" dafür besitzen, dass etwa namhafte Mitglieder der Zentralen Ethikkommission im Ergebnis für eine Liberalisierung votieren würden? Einige Mitglieder der Zentralen Ethikkommission haben sich im Wertediskurs anderenorts positioniert und ihre Werthaltung ist insofern "offenkundig": Sie streiten für eine (maßvolle) Liberalisierung und von daher würde ich mir wünschen, dass die BÄK den im eigenen Hause vorhandenen Sachverstand auch entsprechend nutzt, anstatt auf gebetsmühlenartig vorgetragene Sonntagsreden zu setzen, in der das Arztethos verklärt wird. Verfassungsrecht bricht auch das "ärztliche Berufsrechts" und zwar insbesondere in den Fällen, wenn der "Normgesetzgeber" die Bedeutung zentraler Grundrechte verkannt hat.

Uwe Schneider 07.04.201212:46 Uhr

Wer ist hier der Hobbyjurist?

Der im Beitrag mit den Worten "kleiner Türspalt" (zur Suizidassistenz geöffnet) zitierte Medizinethiker Jochen Taupitz ist - entgegen dem Kommentar von Herrn Barth - kein Hobbyjurist, sondern Juraprofessor an der Uni Mannheim (http://taupitz.uni-mannheim.de/startseite/index.html) und anerkannter Medizinrechtler. Freilich ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin kein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Bedenkenswert sind seine Argumente dennoch.

Ludwig A. Minelli 05.04.201210:08 Uhr

Deutsche Realität im Kriminalroman

So schildert WOLFGANG SCHORLAU in seinem Roman «Die letzte Flucht» (Kie-penheuer & Witsch, Köln 4. A., 2011. Seite 247) die deutsche Realität der Aus-beutung der Todkranken durch Pharmaindustrie und Krankenhäuser:

»Und? Wer schluckt Ihre Medikamente?«
»Die Analyse ergab, dass wir 42 Prozent unseres Umsatzes mit nur drei Prozent der Patienten machen.«
»Was sind das für Patienten, diese drei Prozent?«
»Ja, das ist die Frage nach der Zielgruppe. Eine zweite Frage ist aber viel inte-ressanter.«
»Nämlich?«
»Wie hoch sind die Jahrestherapiekosten dieser Zielgruppe und wie kann man sie steigern?«
»Ich bleibe aber erst mal bei meiner Frage: Was sind das für Patienten?«
»Nun.«Assmuss wand sich.
»Das sind die final Erkrankten«, sagte er schließlich.
»Final Erkrankte?«
»Menschen, die nicht mehr gesund werden.«
»Sie meinen todkranke Patienten?«
»Wenn Sie wollen, Henry, sagen Sie Todkranke. Mir gefällt der Ausdruck nicht.«
»Wie Sie wollen. Sie stellten also fest, dass Sie mit diesen Tod ... , also mit die-ser Zielgruppe 42 Prozent Ihres Umsatzes
machen?«
»Genau. Eine wachsende Zielgruppe übrigens. Sie müssen wissen: In Deutsch-land erkranken jährlich 450 000 Menschen
an bösartigen Tumoren, also an Krebs. Davon sterben 216 000 Patienten. Wir gehen davon aus, dass diese Zahl bis 2050 um 30 Prozent steigt, weil die Bevöl-kerung immer mehr altert.«
»Die Todkranken sind eine wachsende Zielgruppe?«
»So ist es.«
»Sie nennen diese Menschen Zielgruppe.«
»Nun ja. Aber Peterson &- Peterson hat durchaus auch ethische Zielsetzungen. Wir engagieren uns zum Beispiel sehr gegen Sterbehilfe durch Ärzte. Wir sind dafür, dass Ärzte mit scharfen Sanktionen zu rechnen haben - selbst wenn es sich um passive Sterbehilfe handelt.«

Lutz Barth 04.04.201218:05 Uhr

Droht der Streit um die ärztliche Suizidassistenz zu eskalieren?

Die Statements zum noch nicht veröffentlichten Urteil des VG Berlins häufen sich und lösen zuweilen nur ungläubiges Kopfschütteln aus.
Sowohl Befürworter als auch Gegner der ärztlichen Suizidbeihilfe sollten sich angesichts einer fundamentalen Wertedebatte ein wenig mehr disziplinieren und nicht durch vorschnelles „Geschwätz brillieren“ und in der Öffentlichkeit versuchen, für die eine oder andere Werthaltung „Punkte zu sammeln“.

Insbesondere die selbsternannten Oberethiker in unserem Lande sollten sich mit ihren hobbyjuristischen Analysen zurückhalten, da die mit der ärztlichen Suizidassistenz aufgeworfenen Rechtsfragen weitaus komplexer sind. Die Debatte und Statements in den Medien bilden derzeit nur Meinungen im Diskurs ab, die sich weitestgehend auf den Inhalt einer Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts beziehen, in der sich beileibe nicht die Tragweite der Entscheidungsgründe widerspiegeln.

Ohne Kenntnis der konkreten Entscheidungsgründe und vor allem des einschlägigen Sachverhalts lässt sich seriöser Weise keine Entscheidungsrezension vornehmen und der bedeutsame Wertediskurs über das selbstbestimmte Sterben legt hier den allen voran den Hobbyjuristen und –Ethikern zunächst eine vornehme Zurückhaltung auf, auch wenn gelegentlich der Wunsch der Vater des Gedankens ist, die Pressemitteilung für die eigene Wertekultur fruchtbar machen zu wollen.
Der Diskurs über das selbstbestimmte Sterben gerade der Schwersterkrankten droht zu entgleiten und da ist es mehr als beschämend, wenn aufgrund einer Pressemitteilung eines Gerichts Aussagen und ins Blaue hinein gemacht werden.

Nach den jetzigen Statements zeichnet sich in der Tat ab, dass der Weg durch die Instanzen vorgezeichnet ist und dies ist wohl auch zu begrüßen. Der Präsident der BÄK signalisiert nunmehr zum zweiten Mal, dass er auf eine Klärung durch ein „staatliches Obergericht“ – will wohl heißen BVerfG – setzt, auch wenn der Weg zunächst über das OVG und BVerwG führen dürfte (sehen wir mal von einem Vorlagebeschluss der Berufungsinstanz ab). Ob es allerdings im Interesse der Ärzteschaft steht, einen langwierigen Prozess zu provozieren, obgleich doch zumindest klar sein dürfte, dass hier individuelle Grundrechte der eigenen Kollegenschaft beeinträchtigt werden, mögen die BÄK und ihr (hoffentlich nicht folgend!) die Ärztekammern entscheiden.
Ob das VG Berlin die „Tür einen kleinen Spalt“ geöffnet hat, ist angesichts der Grundrechtsrelevanz der mit der ärztlichen Suizidassistenz aufgeworfenen Rechtsfragen eher von untergeordneter Bedeutung. Mit der ärztlichen Suizidassistenz und dem in dem Berufsrecht verankerten Verbot sind Fragen aufgeworfen, die die ärztliche Selbstverwaltung bis ins Mark hinein erschüttern können. Nicht nur die Reichweite der individuellen Gewissenfreiheit innerhalb einer Ständegemeinschaft steht zur Diskussion, sondern vor allem auch die Normsetzungsbefugnis der Kammern vor dem Hintergrund des Parlamentsvorbehalts und damit inzident auch kritische Anfragen zur demokratischen Legitimation.

Ob hier ein Kompromiss möglich ist, der einen „kleinen Spalt“ in der Tür eröffnet, ist letztlich nicht wünschenswert und vor allem verfassungsrechtlich auch nicht geboten, da Grundrechte von überragendem Rang betroffen sind und zwar gerade auch in Kenntnis dessen, dass hier das Verbot der ärztlichen Suizidassistenz unmittelbar auf die Grundrechte der schwersterkrankten und sterbenden Patienten durchschlägt.

In diesem Sinne sollten wir also zunächst die Veröffentlichung des VG Berlin abwarten und dann in eine Analyse eintreten.

Es bedarf nicht des gesonderten Hinweises, dass hier einschlägiger Sachverstand eingefordert werden muss, der nicht – eher moderat ausgedrückt – von den Ärztevertretern erwartet werden kann. Es reicht im Diskurs völlig zu, wenn Hobbyphilosophen und Ethiker sich dazu aufschwingen, uns an ihren Botschaften teilhaben zu lassen. Dies erscheint insbesondere d

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