Gute Pflege kostet vor allem Engagement

Die Pflege wird besser, hat aber noch Mängel - so der neueste Qualitätsbericht des Medizinischen Dienstes. Aber es gibt Instrumente gegen Mängel: nicht zuletzt das Engagement von Ärzten und ihre Kooperation mit Pflegekräften, wie das Beispiel Aurelius-Hof in Mainhausen zeigt.

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:
Gediegenes Ambiente, hoher Fachkräfte-Anteil. Der Aurelius-Hof im hessischen Mainhausen kooperiert systematisch mit Ärzten.

Gediegenes Ambiente, hoher Fachkräfte-Anteil. Der Aurelius-Hof im hessischen Mainhausen kooperiert systematisch mit Ärzten.

© Aureliushof

MAINHAUSEN. Der Geriater Dr. Rainer Gareis aus Offenbach am Main bringt es auf den Punkt. Gute Pflege brauche engagiertes, geschultes Personal und klare Strukturen - und sie ist nicht umsonst zu haben: "Dies unterscheidet eine gute Einrichtung von einer reinen Verwahranstalt."

Als Heimarzt betreut Gareis zusammen mit einem Kollegen gleich mehrere Einrichtungen, darunter auch den Aurelius-Hof in Mainhausen.

Die beiden Ärzte teilen sich die Rufbereitschaft, einmal in der Woche kommen sie zur Visite. Die Einrichtung bezahlt ihnen dafür eine monatliche Pauschale.

"Ich kenne jeden Bewohner, ich kenne das Personal", sagt Gareis. Die intensive ärztliche Betreuung der Heimbewohner trage dazu bei, Klinikaufenthalte zu vermeiden.

"Das spart den Krankenkassen enorm viel Geld", sagt Gareis - und eine Evaluation des Projekts "Gesundes Kinzigtal" mit einer Integrationsversorgung von Pflege und Medizin geben ihm Recht (siehe Kasten unten).

Jede Freiheitseinschränkung führt zum Gericht

Anke van den Bergh, Pflegeheim-Leiterin.

Anke van den Bergh, Pflegeheim-Leiterin.

© Privat

Regelmäßig überprüft Gareis zudem die Medikamente der Heimbewohner. Aus gutem Grund: Die Prüfer des Medizinischen Dienstes hatten in ihren Qualitätsbericht festgestellt, dass bei 18,5 Prozent der Heimbewohner die Arzneiversorgung in Heimen nicht der Verordnung entspricht. "Das ist eine Frage des Engagements", sagt der Arzt.

Der Aurelius-Hof hat 123 Pflegeplätze. Im Pflegezimmer sitzt eine Mitarbeiterin vor dem Computer und tippt Daten ein.

"Mein Wohnbereichsleiter sitzt zu 80 Prozent seiner Arbeitszeit im Büro", sagt Heimleiterin Anke van den Bergh. Biografien eingeben, Pflegeberichte schreiben, Probleme dokumentieren, Maßnahmen beschreiben, Instrumente wie die Sturzprophylaxe erfassen, Arztvisiten vorbereiten. Die Liste ist lang.

"Vieles macht auch Sinn", sagt sie. Auf jeden Fall aber nehme es sehr viel Zeit in Anspruch.

Bundesweit werden etwa 140.000 Menschen in Heimen mit Gurten oder Bettgittern ans Bett gefesselt, heißt es im Pflegebericht. Bei zwölf Prozent liegt nach Angaben der MDK-Prüfer dafür keine richterliche Genehmigung vor.

Im Aurelius-Hof werden Gurte nach Angaben der Heimleitung nicht eingesetzt. Bettgitter zum Schutz vor dem Herausfallen würden nur bei Menschen genutzt, die ihr Bett nicht mehr selbstständig verlassen können.

Die Heimleiterin muss trotzdem Anträge stellen, die Maßnahmen mit den Angehörigen oder Betreuern besprechen, ein Attest vom Hausarzt einholen und die Genehmigung beim Amtsgericht beantragen.

"Ich muss alles, was auch nur den Anschein einer freiheitsentziehenden Maßnahme hat, beim Amtsgericht anzeigen", berichtet van den Bergh.

Weniger Psychopharmaka - weniger Stürze

Dr. Rainer Gareis, Geriater und heimbetreuender Arzt.

Dr. Rainer Gareis, Geriater und heimbetreuender Arzt.

© Privat

Damit sich die Bewohner bei einem Sturz nicht verletzen, werden im Aurelius-Hof Matratzen vors Bett gelegt, manche Heimbewohner tragen Helme oder Hüftprotektoren-Hosen, in die Schutzelemente eingenäht sind.

Um die Bewohner vor Stürzen so weit wie möglich zu bewahren, gibt es spezielle Bewegungskurse. Doch klar ist auch: "Zu hundert Prozent kann man Stürze nie verhindern", sagt Gareis.

Ruhigstellen kann man Menschen allerdings nicht nur, indem man sie fesselt, sondern auch, indem man ihnen hochdosierte Psychopharmaka gibt, wie im MDK-Pflegebericht zu lesen ist. "Das machen wir nicht", versichert Anke van den Bergh.

Wenn Patienten aus Kliniken eingeliefert werden, wo sie solche Mittel bekommen hätten, werde versucht, die Medikation in Absprache mit den Heimärzten zu reduzieren. "Jeder Demenzkranke soll bei uns am Leben teilhaben und nicht den ganzen Tag verschlafen."

Das erfordert allerdings genügend Personal. Der Fachkräftemangel macht auch dem privatwirtschaftlich geführten Familienunternehmen in Mainhausen zu schaffen - trotz Leistungsprämien, übertariflichen Gehältern, flexiblen Arbeitszeiten und einer eigenen Kita für die etwa 100 Mitarbeiter.

Die Fachkräftequote liegt nach Angaben der Einrichtungsleitung derzeit bei fast 50 Prozent. Sechs Ergotherapeuten kümmern sich um die 31 Kranken im Demenzbereich.

"In anderen Einrichtungen gibt es dafür gerade mal anderthalb Stellen", sagt Gareis und betont: "Gute Pflege ist nicht umsonst zu haben."

Alte und kranke Menschen hätten ein Anrecht darauf, dass sie situationsgerecht betreut und behandelt werden. "Das ist ein Grundrecht, es zu verwirklichen kostet Geld und ist auch eine Frage der Wertschätzung."

Engagement von Ärzten verbessert die Qualität - und das spart am Ende sogar viel Geld

Eine intensivere ärztliche Betreuung von Heimbewohnern kann deren Versorgungsqualität erheblich verbessern. Das zeigt das Projekt Integrierte Versorgung Gesundes Kinzigtal für Versicherte der AOK und LKK Baden-Württemberg.

Zwischen 2007 und 2010 sank die Zahl der Krankenhauseinweisungen von Heimbewohnern, die in das IV-Projekt eingeschrieben waren, um 26,4 Prozent. Geringere Hospitalisierung senkt auch die Kosten: Der Deckungsbeitrag der Krankenkassen erreichte im Jahr 2010 mit 1313 Euro je Versicherten erstmals ein Plus. Im Jahr 2007 gab es noch eine Unterdeckung von fast 3000. Euro.

"Die aktuellen Resultate zeigen, wie schnell die Integrierte Versorgung zu substanziellen Erfolgen führen kann, zum Nutzen sowohl der Versicherten wie auch der Kassen", so Helmut Hildebrandt, der Geschäftsführer des Projekts Gesundes Kinzigtal.

Der Erfolg lässt sich auch in der Arzneimittelversorgung zeigen: Danach ist der Anteil von Demenzkranken, die innerhalb von sechs Monaten mehr als 180 Tagesdosen Psycholeptika erhalten, bei IV-Pflegeheim-Patienten mit 7,3 Prozent signifikant geringer als mit 11,3 Prozent einer alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichsgruppe.

Dazu die Allgemeinärztin Dr. Brigitte H. Stunder aus Zell am Harmersbach: "Uns ist es auf der Basis von leitlinienorientierter Medikation gelungen, das mit einer Psycholeptika-Verordnung verbundene Sturz-Risiko für Demenzpatienten zu senken."

2009 wurde das Programm "ÄrztePlusPflege" gestartet; hier sind 117 Patienten eingeschrieben. Durch enge Zusammenarbeit von Ärzten und Pflegekräften werden gesundheitliche Veränderungen früher und besser erkannt. Das Programm umfasst monatliche leitliniengestützte Visiten der Hausärzte, eine erweiterte Rufbereitschaft am Abend, die gerontopsychiatrische Versorgung der Patienten durch einen Facharzt und eine verbesserte Medikation. Für jeden eingeschriebenen Heimbewohner erhalten die Ärzte 40 Euro als Pauschale pro Quartal. Ein weiterer Programmbaustein sind regelmäßige Fortbildungen in der Palliativmedizin, der Fitness- und Funktionsgymnastik. (HL)

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