DGKJ-Jahrestagung

Pädiater werben für Zentren für Kindergesundheit

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin hält die bisherigen Angebote für psychosoziale Prävention für unzureichend. Flächendeckend sollten daher ambulante Zentren für Kindergesundheit aufgebaut werden.

Raimund SchmidVon Raimund Schmid Veröffentlicht:

DÜSSELDORF. Psychosoziale Prävention muss künftig gerade für Kinder aus sozial schwachen Familien sowie Familien mit Migrationshintergrund in einem multiprofessionellen Team erfolgen: Dafür sind bisher aber keine geeigneten Versorgungsstrukturen vorhanden.

Auf dieses Defizit hat Professor Norbert Wagner. Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), bei der Jahrestagung seiner Organisation in Düsseldorf hingewiesen. Der flächendeckende Aufbau von ambulanten Zentren für Kindergesundheit" sei daher überfällig.

In diesen Zentren müssten neben Kinder- und Jugendärzten auch Familienhebammen, Kinderkrankenschwestern und Mitarbeiter der Jugendämter als "unverzichtbare" Berufsgruppen arbeiten.

Kinder- und Jugendärzte fungierten in dieser Konstellation nach den Vorstellungen Wagners primär als "Gatekeeper", da sie häufig die ersten sind, die mit "Problem-Familien" in Kontakt kommen.

Eine solche Versorgungsstruktur käme auch den beruflichen Erwartungshaltungen junger Ärztinnen und Ärzte zugute.

Da gerade in der Pädiatrie überdurchschnittlich viele junge Frauen nachrücken, die weder einen Fulltime-Job in einer Klinik noch eine Niederlassung anstreben, wäre eine Teilzeittätigkeit in einem solchen multidisziplinär ausgerichteten Zentrum für viele Frauen eine vielversprechende Alternative.

Zentren würden breites Leistungsspektrum anbieten

Zudem, so Wagner, würde dies auch sicherstellen, dass Kinder- und Jugendärzte mit verschiedenen Schwerpunkten oder Zusatzweiterbildungen in dem Zentrum vertreten wären, die dann ein breites Spektrum der pädiatrischen Grund- und Spezialversorgung abdecken könnten.

Nach den Vorstellungen der DGKJ sollten Kinderkrankenschwestern und Familienhebammen feste Sprechstunden in den Räumen einer größeren Praxis oder eines ambulanten Zentrums abhalten. Weitere medizinische Professionen wie zum Beispiel Therapeuten würden unverzüglich eingeschaltet, wenn deren Kompetenzen benötigt würden.

Auch Mitarbeiter des Jugendamts könnten regelmäßige Sprechzeiten in den Räumen anbieten, um insbesondere (Risiko-)Familien zu beraten. Ihnen käme dann die Aufgabe zu, weitere Netzwerkakteure für primär nicht medizinische Interventionen zu koordinieren.

Alle Mitglieder des Teams sollten laut Wagner im neuen Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit angestellt oder von Kommunen dorthin abgeordnet (etwa ein Sozialarbeiter) werden. Auch freiberuflich tätige Therapeuten könnten mit einbezogen werden.

Die organisatorische Leitung des interdisziplinären Teams müsse allerdings in jedem Fall bei den Kinder- und Jugendärzten liegen, fordert Wagner. Die Fachaufsicht für die Familienhebammen oder Kinderkrankenschwestern sei über den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) sicherzustellen.

Entlastung der Ärzte durch Sozialarbeiter

Die ärztliche Tätigkeit würde allein durch den Einbezug von ausgebildeten Sozialarbeitern oder anderer dafür ausgewiesener Experten um bis zu 30 Prozent entlastet, prognostiziert die DGKJ.

Denn das nicht primär medizinisch verortete Spektrum in Risiko-Familien ist breit gefächert: finanzielle Belastungen, Verhalten der Kinder bei Trennung der Eltern, psychosoziale Probleme im Umfeld sowie Fragen rund um den Kinderschutz. Um klare Abgrenzungen zur Medizin herstellen zu können, will Wagner Behandlungspfade und Qualitätssicherungsmaßnahmen für diese Zentren entwickeln.

Eine solche multiprofessionelle frühe Intervention würde auch Kosten einsparen, die anderenfalls für die Behandlung gesundheitlicher Störungen bei Kindern im späteren Alter anfallen. Für Präventionsangebote über das dritte Lebensjahr hinaus können nach den Erfahrungen des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen für jeden zusätzlich investierten Euro mindestens 13 Euro Folgekosten eingespart werden.

Um eine gemeinsame finanzielle Basis zu finden, müssten dann allerdings Leistungen aus dem SGB V (Gesetzliche Krankenkassen), dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) und dem Kinderschutzgesetz zusammengeführt und gebündelt werden.

Dafür sollen in einem ersten Schritt in den einzelnen Kommunen mit den beteiligten Jugendämtern und dem ÖGD tragfähige und verlässliche Netzwerk-, Vertrags- und Finanzierungsstrukturen entwickelt werden.

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