Prominente Gebisse: Zahnhistoriker fühlt Königen und Künstlern auf den Zahn

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Bayerns Märchenkönig Ludwig II. hatte schwarze, von Karies zerfressene Zähne. Goethe besaß im Alter nur noch einige wenige Zähne. Daß er damit bei Kälte klappern konnte, wie zeitgenössische Biographen behaupteten, sei "eine glatte Lüge", erklärt der Kemptener Zahnarzt Werner Neuhauser, der sich seit 30 Jahren mit prominenten Gebissen beschäftigt. Goethe war - seinen Nachforschungen zufolge - im Alter nahezu zahnlos.

Mit 90 Publikationen in Fachzeitschriften hat Neuhauser sich als Zahnhistoriker einen Namen gemacht.

Seine Forschungen über Goethes Zähne, die er vor 20 Jahren begonnen hat, haben dem inzwischen 77jährigen Arzt viele Beschimpfungen von Verehrern des Dichterfürsten eingetragen. Sie wollen sich einen so herausragenden Kopf der deutschen Literatur nicht zahnlos vorstellen, zumal Goethes Leibarzt den Dichterfürsten stets als einen nie alternden, vor Manneskraft strotzenden Menschen beschrieben hatte.

"Eigentlich liebe ich die Kunst, die Literatur und die Geschichte. Aber wenn ich auf solche Dinge stoße, dann verfolge ich sie schlichtweg", sagt der Zahnmediziner, der seine Praxis längst aufgegeben hat. Bei Bildern des Habsburger Königshauses, das Ehen innerhalb der Familie als Mittel der Politik betrachtete, fiel ihm auf, daß der Kinnladen im Laufe der Generationen immer größer und hervorstehender wurde. Dies veranlaßte Neuhauser 1974 zu seiner ersten Veröffentlichung: "Beispiele einer Potenzierung von Erbmerkmalen infolge von Inzucht".

Auffälligkeiten über Zähne und Gebisse fand der Kemptener nicht nur in Museen. Im Alten Testament entdeckte er Hinweise auf Zähneknirschen als Folge von Ernährungsmangel. In der Rokoko-Zeit verkauften Bürger ihre selbst gezogenen Zähne an reiche Leute, die sich diese Prothesen mit Goldfäden in den Mund banden. Neuhauser schrieb Aufsätze über die Wikinger, über Cäsar, Don Quichotte, Luther und Alexander von Humboldt.

Bei einer Veröffentlichung über die Geschichte der Zahnmedizin verwies er verschmitzt auf die Zeichnung einer Extraktion von 1523, die den Patienten, den Zahnzieher und eine Frau zeigt, die dem Schmerzgeplagten während der Behandlung den Geldbeutel aus der Gesäßtasche zieht. "Ein Bild, dem irgendwie noch bis heute Gültigkeit nachgesagt wird", schmunzelt er.

Inzwischen ist Neuhauser zu der Erkenntnis gelangt, daß ihn der Blick auf den Mund von der eigentlichen Kunst abgelenkt hat. Seinen Nachholbedarf will er im Sommer bei einer Radtour durch Flandern stillen. Von seinem Beruf hat sich Neuhauser aber noch lange nicht verabschiedet. Als Dozent an der Akademie für Zahnärztliche Weiterbildung hält er noch Vorlesungen über die "Arbeitshaltung des Zahnarztes". Denn außer der Kunst und der Psychosomatik ist die Ergonomie ein weiteres Hobby des rastlosen Zahnarztes. (dpa)

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