Herzchirurgie gibt es in ganz Afghanistan nicht

Von Jürgen Hein Veröffentlicht:

Mariam ist neun Jahre alt, aber sie sieht aus wie fünf. Sie schaut die Ärzte im Krankenhaus von Kundus im Norden Afghanistans aus ihren müden Augen an und sieht, wie sie die Köpfe schütteln. Mariam hat einen Herzklappenfehler und leidet unter ständigem Sauerstoffmangel - deshalb ist sie so klein geblieben, und deshalb muß sie wohl sterben. "In ganz Afghanistan gibt es keine Herzchirurgie", sagt Humajun Chamusch, Kardiologe und Direktor des Krankenhauses. Nur ein Flug ins Ausland könnte das Mädchen retten. Aber daß es dazu kommt ist so unwahrscheinlich wie ein Lottogewinn.

Erst seit kurzem hat das Krankenhaus, das beste in der ganzen Provinz, ein Ultraschallgerät. Und selbst etwas so Simples wie ein EKG können die Ärzte erst machen, seit die Bundeswehr, Teil des deutschen Wiederaufbauteams (PRT) in Kundus, ein Instrument zur Verfügung stellt. Auch eine Computertomographie ist an afghanischen Krankhäusern unbekannt. Kopfverletzungen werden äußerlich behandelt, tödliche innere Blutungen bleiben unerkannt. 20 Jahre Krieg haben die Gesundheitsfürsorge von der Entwicklung isoliert und sogar zurückgeworfen. Geräte wurden unbrauchbar, Wissen ging verloren.

Nun bekommt Kundus, mit Hilfe der USA und Schwedens, eine neue Klinik. "Dann reicht unsere Kapazität, wir haben genug Ärzte. Aber wir brauchen immer noch moderne Geräte. Und selbst wenn wir sie haben, müssen unsere Ärzte daran geschult werden", sagt Chamusch. Am liebsten wäre es ihm, wenn ausländische Ärzte ins Land kämen für Intensivschulungen. "Dann hätten hier alle Kollegen etwas davon, das wäre effektiver, als wenn nur einige zu Kursen in Ausland gingen."

Im kleinen Rahmen passiert das schon. Militärärzte aus der Klinik, die das PRT für eigene Notfälle bereit hält, gehen regelmäßig ins Krankenhaus und operieren dort. "Die Grundversorgung ist in Ordnung, was fehlt ist das Wissen über moderne Operationstechniken", sagt Oberstabsarzt H. - die Namen der Soldaten werden nicht genannt, damit ihre Angehörigen in Deutschland nicht belästigt oder bedroht werden.

H. tritt nicht als Besserwisser auf, sondern als Assistent, der aktiv wird, wenn seine afghanischen Kollegen ihn bei Operationen um Hilfe bitten. Ein kleines Mädchen ist auf eine heiße Herdplatte getreten und hat sich beide Fußsohlen fürchterlich verbrannt. H. trägt das zerstörte Gewebe ab, eine komplizierte Operation. Das Mädchen verliert einen Zeh und braucht eine Hautverpflanzung, wird aber mit etwas Glück wieder laufen können. In Fällen wie ihrem oder bei offenen Knochenbrüchen kommt es sonst sehr rasch zur Amputation.

Das Krankenhaus von Kundus mag nach westlichen Standards schlecht ausgestattet sein - für afghanische Verhältnisse ist es sehr gut. "Das Problem ist, daß wir auf dem Land keine guten Ärzte haben. Sie machen Schnellkurse in Pakistan, aber das reicht nicht." Ein Opfer dieser fehlenden Kompetenz liegt in der Frauenklinik. Die junge Frau hat eine klaffende Wunde am Bauch. Ein erfahrener Chirurg tupft die Wunde mit Jod sauber und verbindet sie, die Heilung wird lange dauern.

Die Frau hatte nur eine Blinddarmentzündung. "Aber dieser Arzt in unserem Dorf hat ihr ein Schmerzmittel und Antibiotika gegeben", berichtet ihre Cousine. Als die Frau endlich in die Klinik kam, war es fast zu spät. Die Operation gelang, dann aber brach die Wunde auf. "Wir brauchen auch endlich ein Krankenhaus im Dorf", fordert die Cousine wütend, "aber wer hört uns schon, wir Frauen dürfen doch mit niemandem reden, Frauenrechte gibt es nicht."

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