Zwei Ärzte, zwei Romane, zwei Vater-Sohn-Beziehungen

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"Vielleicht hatte ich damals ein falsches Bild von meinem Vater", notiert der Sohn, "aber als ich begann, genauer darüber nachzudenken, war es für uns beide zu spät."

Der Sohn, das wird klar erkennbar, ist dem Vater schon rein physisch unterlegen - dieser alles beherrschenden, imposanten Gestalt: "Er maß zwei Meter, konnte mit seinen blauen Augen die Luft zerschneiden und trug einen schmalen Schnurrbart, den er mit Brother’s love in Form hielt."

Ganz logisch, daß er nicht nur dem Sohn gegenüber, sondern auch im Verhältnis zu den Mitarbeitern die dominierende Figur ist; denn der Vater "hörte reihum jedem zu, stach seinen Blick in die Augen des Sprechenden und brachte es fertig... zu rufen: Sie halten nicht stand, Sie halten meinen Blick nicht aus."

Auf den ersten Blick also eine der vielen Vater-Sohn-Beziehungen, wie sie die Literatur seit Jahrhunderten bevölkern. Doch der Vater, der mit seinen blauen Augen die Luft zerschneidet, und der, der den Blick in die Augen des Sprechenden sticht, ist nicht der Protagonist eines einzigen Buchs, sondern stammt von zwei verschiedenen Autoren: Jens Petersen ("Die Haushälterin") heißt der eine und Uwe Tellkamp ("Der Eisvogel") der andere.

Daß beide kürzlich je einen Vater-Sohn-Roman veröffentlicht haben, ist nicht ihre einzige Gemeinsamkeit; denn beide sind auch noch Ärzte, und beide leben und arbeiten in München.

Doch die Vita der beiden könnte unterschiedlicher nicht sein; denn das Leben des 1968 in Dresden geborenen Unfallchirurgen Uwe Tellkamp ist bislang eher in Schlangenlinien verlaufen: Entzug des Studienplatzes wegen "politischer Diversantentätigkeit", Strafversetzung in ein Strafbataillon der Nationalen Volksarmee, Gefängnis, Hilfskohleförderer, Hilfsdreher, Hilfspfleger, dann erst reguläres Medizinstudium in Leipzig, New York, Dresden - und im vergangenen Jahr plötzlich der Paukenschlag: Ingeborg Bachmann-Preis für eine Passage aus seinem vor kurzem erschienenen Roman "Der Schlaf in den Uhren".

Und nun also der "Eisvogel", eine Montage aus Erinnerungsfetzen des Versagers Wiggo Ritter und Protokollen seiner Freunde im Zusammenhang mit Wiggos Mord an seinem (vermeintlich) besten Freund Mauritz, der auf rechtsradikale Abwege geraten ist - vordergründig ein bilderreicher, sprachmächtiger Krimi, doch im Grunde eine gnadenlose Abrechnung mit dem einflußreichen Vater, der den philosophierenden Sohn mehr oder weniger offen verachtet, weil er es nur zur Hilfskraft in einem Labor gebracht hat.

Ganz anders der Fall des erst 28jährigen Neurologen Jens Petersen: In seinem Roman geht es um die gemeinsame Liebesgeschichte von Vater und Sohn mit einer jungen polnischen Haushälterin, die bei den beiden einzieht, weil der Vater nach einem Beinbruch auf Hilfe angewiesen ist, weil er alkoholabhängig ist und weil er nur noch nach Urin und alter Bettwäsche stinkt. In einer knappen, schnörkellosen Sprache geht es um den banalen Alltag in einem Hamburger Stadtteil, um Liebe und Eifersucht und um den Zerfall zwischenmenschlicher Beziehungen.

Beiden Autoren ist eine privilegierte, durch die ärztliche Tätigkeit geschulte Beobachtungsgabe eigen. Hoffen wir, daß beide in Zukunft das halten, was die fulminanten Premieren versprechen und sie sich dauerhaft als neue Stimmen in der deutschen Literatur etablieren können. Friedrich Hofmann

Uwe Tellkamp: Der Eisvogel. Rowohlt. Berlin 2005. 15,90 Euro.

Jens Petersen: Die Haushälterin. Deutsche Verlagsanstalt. München 2005. 17,90 Euro.

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