Paradebeispiel für die Nähe von Genie und Wahnsinn

Von Klaus Brath Veröffentlicht:

BONN. Robert Schumann (1810 bis 1856) gilt nicht nur als Inbegriff der musikalischen Romantik in Deutschland, sondern wird auch oft als Paradebeispiel für die Nähe von Genie und Wahnsinn angesehen. Um die tragische Krankengeschichte des Komponisten, dessen Tod in geistiger Umnachtung sich am Samstag (29. Juli) zum 150. Mal jährt, ranken sich seit langem viele Gerüchte, Legenden und Spekulationen.

Um damit aufzuräumen, hat nun Professor Bernhard Appel von der Robert-Schumann-Forschungsstelle, Düsseldorf, erstmals ungekürzt Schumanns Krankenakten der letzten beiden Jahre sowie zugehörige Briefzeugnisse und zeitgenössische Berichte veröffentlicht.

Die Krankenakten aus der Zeit seines Aufenthalts in der Endenicher Heilanstalt galten Jahrzehnte lang als verschollen. 1988 gelangten sie aus Familienbesitz in die Hände des Komponisten Aribert Reimann, der mit Schumanns letztem Arzt Dr. Franz Richarz entfernt verwandt ist, und der die Dokumente zur Veröffentlichung freigab.

Die dokumentierten Krankenakten beginnen Anfang April 1854, gut einen Monat nachdem sich Schumann in Suizidabsicht von einer Rheinbrücke ins Wasser gestürzt hatte. Er wurde nach seiner Rettung auf eigenen Wunsch in die private Nervenklinik von Richarz eingeliefert, die für damalige Verhältnisse moderne liberale Behandlungsmöglichkeiten bot. Die im Aufnahmebuch der Heilanstalt vermerkte Diagnose lautete "Melancholie mit Wahn" - Schumann hatte bereits seit seiner Jugend an manisch-depressiven Verstimmungen mit vorwiegend melancholischen Phasen gelitten.

Die in dem Buch versammelten Dokumente sprechen jedoch dafür, daß Schumann zuletzt, wie bereits ein Teil der frühereren Pathographen mutmaßten, an einem hirnorganischen Abbauprozeß, sehr wahrscheinlich an progressiver Paralyse litt.

Wie Professor Franz Hermann Franken in seiner pathographischen Stellungnahme am Schluß des Bandes plausibel darlegt, sprechen die dokumentierte Symptomatik und der Krankheitsverlauf klar dafür, daß die Paralyse luetisch bedingt war. Einer Notiz im Krankenblatt ist zu entnehmen, daß Schumann selbst das "Geständnis" ablegte, 1831 an Syphilis erkrankt zu sein.

Glaubt man hingegen Professor Uwe Henrik Peters’ ausführlichen psychiatriehistorischen Erläuterungen, ist ein endgültiger Beweis hierfür nicht erbracht. Dennoch lohnt die Lektüre des sorgfältig edierten und sachlich kommentierten Bandes: Die Dokumente beschreiben minutiös Schumanns gravierenden Verfall und präzisieren damit das Bild des kranken Komponisten anrührend, aber ohne Pathos.

Schumann-Gedenken in Ton, Bild und Schrift

  • Buch Bernhard R. Appel: "Robert Schumann in Endenich (1954-1856). Krankenakten, Briefzeugnisse, und zeitgenössische Berichte." Mit einem Vorwort von Aribert Reimann. Schott Music, Mainz. 607 Seiten, 77 schwarz-weiß-Abbildungen. 34,95 Euro. ISBN: 3-795-70527-4
  • Konzerte In vielen Städten werden 2006 Schumann-Konzerte aufgeführt. Einen Überblick finden Sie im Internet: www.schumann-portal.de
  • Ausstellungen In den Schumann-Städten Bonn und Zwickau gibt es 2006 noch drei Schumann-Sonderausstellungen: 1) Zwischen Poesie und Musik. Robert Schumann - früh und spät. Stadtmuseum Bonn bis 8. Oktober 2006, weitere Infos im Internet: www.bonn.de/stadtmuseum 2) Robert Schumann in den Augen der Nachwelt. Zur Schumann-Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert. Stadtmuseum Bonn bis 8. Oktober 2006, weitere Infos im Internet: www.bonn.de/stadtmuseum 3) 50 Jahre Robert-Schumann-Haus. Robert-Schumann-Haus Zwickau, bis 20. Oktober 2006, weitere Infos im Internet: www.schumannzwickau.de In Bonn kann zudem das Schumannhaus, wo der kranke Komponist die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, besichtigt werden. Auch hier weitere Infos im Internet: www.schumannhaus-bonn.de
  • Fernsehen Am Samstag, 29. Juli, und Sonntag, 30. Juli, senden 3sat, Arte und der Hessische Rundfunk mehrere Filme, Dokumentationen und Konzerte zu Robert Schumann. Medizinhistorisch vielversprechend ist die Dokumentation "Robert Schumann - Worte sind Töne" (Samstag, 10.40 bis 11.10 Uhr in 3sat), in der Jürgen Czwienk einen neuen filmischen Blick auf Schumanns letzte Lebensjahre in der Heilanstalt wirft. (kbr) 

Schumanns Leben

8. Juni 1810 Robert Schumann wird in Zwickau geboren. Sein Vater, der 1826 stirbt, ist Buchhändler und Verleger;

1828/9 Jurastudium in Leipzig und Heidelberg; Klavierunterricht bei Friedrich Wieck;

1832 Fingerlähmung (Überdehnung einer Sehne?); Ende der pianistischen Laufbahn; Schumann intensiviert die Kompositionstätigkeit (bis 1839 fast ausschließlich für Klavier, später auch Sinfonien und andere Orchesterwerke, Kammermusik und Vokalwerke);

1834 Gründung der "Neuen Zeitschrift für Musik";

1840 Heirat mit Clara Wieck nach heftigem Widerstand Friedrich Wiecks; aus der Ehe gehen acht Kinder hervor; Promotion zum Dr. phil. h. c. an der Universität Jena;

1843 Berufung an das neu gegründete Leipziger Konservatorium;

1844 Übersiedlung nach Dresden;

1850 Schumann wird Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf;

1853 Erste Begegnung mit Johannes Brahms. Schumann würdigt Brahms in seinem letzten Aufsatz;

1854 Suizidversuch: Schumann stürzt sich von einer Rheinbrücke in den Fluß; auf eigenen Wunsch Einweisung in die Heilanstalt Endenich bei Bonn;

29. Juli 1856 Schumann stirbt in Endenich. (kbr) 

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