Von Suppe wird in der Marburger "Umsicht-Bar" abgeraten

MARBURG (coo). Es ist nicht einfach dunkel. Es ist völlig schwarz. Ohne die Hilfe von Svenja und ihren Kolleginnen wären die Besucher des Marburger Dunkelcafés verloren. Hier wird ihnen eine kleine Vorstellung davon vermittelt, was es heißt, blind zu sein.

Veröffentlicht:

Die blinde Psychologiestudentin nimmt die Neuankömmlinge am Eingang des Gewölbekellers an der Hand und führt sie auf ihren Platz. In völliger Dunkelheit sitzen 20 Kneipengäste, plaudern, trinken und versuchen sich am Essen. Von Suppe rät Projektinitiator Jörg Bechthold ab. Da gehe zu viel daneben. Aber auch der Salat gerät zum Abenteuer.

Der undefinierbare Brocken auf der Gabel entpuppt sich als Tomatenstück. Die Soße des großen Salatblattes landet auf der Wange. "Wenn ein Malheur passiert, sieht es keiner", tröstet Bechthold. Nur der Wirt des Bistros am Marburger Hirschberg weiß, wie der Fußboden später aussieht.

Das Marburger Dunkelcafé "Umsicht-Bar" ist in der Universitätsstadt ein Geheimtipp. Zwei- bis dreimal im Monat öffnet sich die ungewöhnliche Kneipe im Kellergewölbe des Bistro Caveau. Vor zweieinhalb Jahren - Bechthold war damals noch Behindertenreferent des AStA - wurde sie von einer studentischen Projektgruppe eingerichtet. Schließlich hat Marburg mit seinen etwa 700 Blinden so viele Sehbehinderte wie keine andere Stadt dieser Größenordnung.

Das Dunkelcafé richtet sich aber in erster Linie an die Sehenden. Sie können zumindest für einen Abend einen Eindruck davon erhalten, wie es ist, blind zu sein. So wagt kaum einer, den kurzen Weg vom Tisch zum Ausgang allein zu unternehmen. "Ich schaffe es bis heute nicht, um die Theke herum zum Kühlhaus zu gehen", erzählt Wirt Eugen Leipner. Bedienen könne er im Gewölbekeller nicht.

Das übernehmen drei Sehbehinderte: "Wir sind darin geübt, im Dunkeln Sachen durch die Gegend zu tragen", sagt Bechthold. Einige Besucher können die Dunkelheit nicht aushalten. Die meisten aber finden es sehr entspannend, einmal nicht sehen zu müssen. "Es ist schön, nicht gerade sitzen zu müssen, sondern sich einfach mal hinlümmeln zu können", erzählt Julia. Auch das Aussehen werde unwichtig. Allerdings müsse man deutlich mehr reden, um klarzukommen.

Viele Gäste betrachten die "Umsicht-Bar" - so genannt, weil man viel umsichtiger sein muss - als Abenteuer. Wie erkennen Blinde die richtigen Geldstücke und Geldscheine? Wie schaffen sie es, nicht dauernd mit anderen zusammenzustoßen? Blinde und Sehende kommen leicht ins Gespräch. "Die Leute merken, dass es nicht so schlimm ist, wenn man nichts sieht", freut sich Svenja.

Um das Dunkelcafé aufrecht zu erhalten, ist viel ehrenamtliche Arbeit nötig. Zwei Sehende etwa nehmen die Besucher in der Kneipe über dem Gewölbekeller in Empfang, erklären ihnen, dass Zigaretten, Handys und Digitaluhren verboten sind, weil sie zu viel Licht spenden. Gelegentlich gibt es auch Hörspiele, Konzerte, Spieleabende. Doch eigentlich wollen die Initiatoren eine ganz normale Kneipenatmosphäre - im Dunkeln.

Die Umsicht-Bar ist jeden ersten und dritten Montag im Monat ab 19 Uhr geöffnet. Internet: www.umsicht-bar.de

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

ARE in Grafiken

Inzidenzen von Corona und Influenza steigen

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Kein Mythos, aber Relevanz unklar

Wird die virale Sepsis zu schnell diagnostiziert?

Nervenschädigungen

So diagnostizieren Sie die diabetische Neuropathie

Praxisübernahme

Wie es einer Kollegin nach dem ersten Jahr der Niederlassung geht

Lesetipps
Zwei MFA stehen nebeneinander und blicken direkt in die Kamera.

© Robert Kneschke / stock.adobe.com

Wettbewerb um Personal

Mit guten Arbeitsbedingungen raus aus der Engpass-Falle bei MFA

Sie kommt relativ oft vor, wird aber oft übersehen: die kardiale autonome diabetische Neuropathie.

© Aleksandra Kuzmina / stock.adobe.com

Kardiale autonome diabetische Neuropathie

Das neuropathische Herz – ein Risiko

Eine Hand fängt 500-Euro-Geldscheine auf, die durch die Luft wirbeln.

© vegefox.com / stock.adobe.com

Vermögensforscher im Interview

Welche Eigenschaften helfen, reich zu werden