Eine eindrucksvolle Landkarte des Lebens

100 Jahre - das ist für den Menschen noch immer eine geradezu magische Grenze, obwohl es weltweit immer mehr Menschen gibt, die sehr alt werden. Ein beeindruckender Bildband stellt nun 100 dieser Hundertjährigen vor - in großformatigen Fotos und kleinen Porträts. Herausgeber sind ein Arzt und ein Künstler.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
"Zueinander stehen": Das Lebensmotto von Erich Walde.

"Zueinander stehen": Das Lebensmotto von Erich Walde.

© Andreas Labes (3)

Worin liegt das Geheimnis eines hohen Alters? Das erforschen derzeit Kieler Wissenschaftler in einem europaweit einmaligen Projekt. Leiter der Gruppe ist Professor Stefan Schreiber, Direktor der Klinik für Innere Medizin I sowie des Instituts für Klinische Molekularbiologie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.

Schreiber befasst sich seit Jahren mit den biologischen Voraussetzungen für ein langes Leben und hat gemeinsam mit seinen Kollegen in den vergangenen Jahren Tausende besonders langlebiger Menschen untersucht. "Doch nur wenige dieser Menschen weisen, prozentual gesehen, eine besondere Biologie der Langlebigkeit auf, deren Grundlage in erheblicher Weise erblich ist", formuliert Schreiber im Vorwort von "100 Jahre Leben".

"Jenseits ihrer Biologie haben hochbejahrte Menschen einen besonderen Lebenslauf, und sie sind gekennzeichnet von einer außergewöhnlichen Lebenseinstellung. Das lässt sich am besten an ihren Gesichtern ablesen."

Der Berliner Fotograf Andreas Labes macht die Spuren, die das Leben in die Gesichter der Hochbejahrten gegraben hat, sichtbar. Über einen Zeitraum von mehreren Jahren durfte Labes, der unter anderen für die Magazine "Stern" und "Mare" arbeitet, 100 Hundertjährige ablichten und zu ihrem Leben befragen. In seinen großartigen Schwarz-Weiß-Portraits fängt er das kollektive Gedächtnis eines ganzen Jahrhunderts ein. Und er wirft einzigartige Schlaglichter auf 10 000 Jahre Leben.

Die 1905 bei Göttingen geborene Emilie Böning eröffnet den Reigen der Hundertjährigen. Was für ein Gesicht! Im ersten Moment wirkt der Ausdruck der ehemaligen Bäuerin beinahe finster, beim zweiten Hinsehen jedoch meint man darin sowohl Weisheit als auch Güte zu lesen. "Ich habe immer nur gearbeitet", erzählt Emilie Böning dem Fotografen, und wer ihr in die Augen sieht, hegt daran keinen Zweifel.

Urlaub war ihr ein Fremdwort, die Familie der Mittelpunkt ihrer Welt. Daraus leitet sich auch ihr Lebensmotto ab: "Zusammenhalt ist wichtig."

Erich Walde, ebenfalls Jahrgang 1905, war sechs, als sein Vater starb. Seine Mutter brachte ihn und seine beiden Schwestern mit Heimarbeit durch den Ersten Weltkrieg. Nach seiner Lehre arbeitete er als Handelsvertreter und lernte seine Frau kennen, mit der er 71 Jahre - bis zu ihrem Tod - zusammenblieb. "Zueinander stehen und gemeinsam durchs Leben gehen, das war wichtig", zieht er heute Bilanz. "Meine Frau war das Wichtigste für mich in meinem Leben. Ich habe nie ein anderes Mädchen geküsst."

Mary Splettstösser wurde 1905 in Sankt Petersburg geboren. Ihre Kindheit erlebte sie als "Paradies auf Erden". Ihre Eltern waren wohlhabend und zählten zur deutschen Bürgerschicht. Am 25. Oktober 1917, Mary war zwölf, endete ihre Kindheit mit dem Beginn der Russischen Revolution. Danach herrschte in ihrem Leben ein Jahr lang Angst und Schrecken, bis sie ihre Geburtsstadt verließ. "Eintracht und Friede war in den Menschen", sagt sie rückblickend. "Wo ist das alles geblieben?"

Drei Menschen, drei Schicksale. Ihre Gesichter, ihre Augen, die Flecken, Falten und Furchen ihrer Haut zeichnen ihr Dasein nach wie eine Landkarte des Lebens. Ihr Schmerz und ihr Leid, ihre Freude und ihr Glück, die Hundertjährigen lassen uns daran teilhaben und vertiefen jenes Gefühl, das hohes Alter schon von jeher evoziert: Respekt.

Andreas Labes, Stefan Schreiber (Hrsg.): 100 Jahre Leben. Porträts und Einsichten. Deutsche Verlags-Anstalt. München 2010. 184 Seiten. 168 Duplex-Abbildungen. 29,95 Euro. ISBN 978-3-421-04469-3

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Kommentar

Alarmstufe rot in der Notaufnahme

Glosse

Die Duftmarke: Frühlingserwachen

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Tierexperiment: Neuer Signalweg identifiziert

Essen in Sicht? Die Leber ist schon aktiv!

Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer