Hintergrund

Burn-out-Geständnis macht Rangnick zum Vorbild

Burn-out im Profisport ist ein großes Tabu. Mit Ralf Rangnick hat sich erstmals ein Bundesliga-Trainer zu der Krankheit öffentlich bekannt. Sportpsychologen werben, bereits bei jungen Sportlern mit der Prävention zu beginnen - und mit Leistungsdruck anders umzugehen.

Von Friederike Krieger Veröffentlicht:
Er gilt als "Fußball-Professor": Ralf Rangnick hat den Posten als Cheftrainer von Schalke 04 wegen Burn-out aufgegeben.

Er gilt als "Fußball-Professor": Ralf Rangnick hat den Posten als Cheftrainer von Schalke 04 wegen Burn-out aufgegeben.

© dpa

Sportpsychologen begrüßen die öffentliche Ankündigung von Schalke 04-Trainer Ralf Rangnick, sich wegen einer Erkrankung am Erschöpfungssyndrom eine Auszeit zu gönnen.

"Die Entscheidung Rangnicks verdient Respekt. Es war sehr mutig von ihm, seine Burn-out-Probleme so offen kund zu tun", sagt Marion Sulprizio, Diplompsychologin an der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS).

Der Trainer hatte am Donnerstag mitgeteilt, sein Amt mit sofortiger Wirkung niederzulegen. "Nach langer und reiflicher Überlegung bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass ich eine Pause brauche."

Und weiter: "Die Entscheidung so zu treffen, ist mir unglaublich schwer gefallen. Doch mein derzeitiger Energielevel reicht nicht aus, um erfolgreich zu sein und insbesondere die Mannschaft und den Verein in ihrer sportlichen Entwicklung voranzubringen."

Gemeinsame Entscheidung

Die Diagnose "vegetatives Erschöpfungssyndrom" habe sich innerhalb der vergangenen zwei Wochen erhärtet, sagt der Schalker Mannschaftsarzt Dr. Thorsten Rarreck.

"Der Trainer kam zu mir, weil Appetitlosigkeit und Schlafmangel Maße überschritten, die nicht mehr normal sind. Daraufhin haben wir weitere externe Fachleute hinzugezogen und gemeinsam diese Entscheidung getroffen."

Dass sich ein Fußball-Profi öffentlich dazu bekennt, an psychischen Problemen zu leiden, ist eher die Ausnahme, weiß die Psychologin Sulprizio.

"Kein Profi scheut sich zuzugeben, dass er ein halbes Jahr Auszeit nehmen muss, um einen Kreuzbandabriss auszukurieren. Bei Burn-out sieht das anders aus", sagt sie. "Für viele passt das nicht zum rauen, harten Sport Fußball."

Beispiele mit fatalem Ende

Wer sich dennoch outet, riskiert seine Karriere. Das musste etwa Andreas Biermann feststellen. Nach dem Suizid von Torhüter Robert Enke, der jahrelang an Depression litt, machte Biermann seine eigene Depression publik - und fand danach keinen Profiverein mehr.

Der ebenfalls depressive frühere Star vom FC Bayern, Sebastian Deisler, warf 2007 selbst entnervt das Handtuch, weil die Fußballwelt mit großem Unverständnis auf seine Krankheit reagierte. Unter anderem hatte man ihn in der Bayern-Kabine als "Deislerin" gehänselt.

"Burn-out-Probleme werden im Profi-Fußball häufig unter den Tisch gekehrt, oder andere Krankheiten werden als Rechtfertigung für die Auszeit vorgeschoben", sagt die Sportspsychologin. Deshalb sei schwer abschätzbar, wie viele Fußballer wirklich darunter leiden.

Umgang mit Leistungsdruck überdenken

"Burnout kommt bei Fußballern vermutlich genauso häufig vor wie bei dem Teil der Normalbevölkerung, der unter starker Belastung steht", schätzt sie. Rund 30 Prozent der stark Belasteten erleben im Laufe ihres Lebens Burn-out-Probleme, die Vorstufe einer Depression sein können.

Heftigen Druck erleben Fußballer zuhauf. Die Ansprüche, die Medien, Verein und Vorstand an sie stellen, sind hoch. "Beim Burn-out spielt aber nicht nur der Druck von außen eine Rolle, sondern die Frage, wie der Fußballprofi damit umgeht", sagt Sulprizio.

Wer perfektionistisch veranlagt ist und sich selbst sehr kritisch sieht, neigt eher dazu, unter hohem Druck auszubrennen.

Kooperation gegen Stressprobleme

Um Spitzensportlern eine Hilfestellung bei der Bewältigung des Alltagsstress zu geben, unterstützt die Sporthochschule Köln die Initiative "Mental gestärkt - psychische Gesundheit im Leistungssport".

Neben der Hochschule zählen auch die Robert-Enke-Stiftung, die Verwaltungsberufsgenossenschaft und die Vereinigung der Vertragsfußballspieler zu den Förderern des Projekts.

Die Hochschule vermittelt Therapie- und Beratungsangebote an Sportler und Trainer und koordiniert die an der Initiative beteiligten Experten.

In jungen Jahren beginnen

Um Burn-out vorzubeugen, sei es wichtig, besonders frühzeitig anzusetzen. "Es geht darum, den Sportlern die Ressourcen zu vermitteln, damit es gar nicht erst soweit kommt", sagt Sulprizio.

Sie müssten lernen, die Dinge gelassener zu sehen. Es lohne sich, auch schon mit jungen Kaderathleten über den Umgang mit Wettkampfdruck zu reden.

Sulprizio glaubt, dass Rangnicks "Burn-out-Geständnis" der Akzeptanz der Krankheit im Spitzensport geholfen hat. "Er nimmt schon eine gewisse Vorbild-Funktion ein", sagt sie.

Auch die Reaktionen aus seinem Umfeld geben Anlass zur Hoffnung. "Da gab es keine Kritik, sondern nur Respekt und Wertschätzung", sagt Sulprizio. Den 4:2-Sieg am Samstag gegen Freiburg haben die Schalker denn auch Ralf Rangnick gewidmet.

Lesen Sie dazu auch: Fall Rangnick: Wie krank ist die Bundesliga?

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