Chirurgin und Mutter - das passt nur schwer

Frauen in der Chirurgie sind keine Seltenheit mehr: 3500 Fachärztinnen operieren bundesweit in Klinik und Praxis. Dennoch bleibt die Universitätschirurgie eine Domäne der Männer. Frauen machen dort nur selten Karriere.

Von Marion Lisson Veröffentlicht:
Universitätschirurgie und Familie: Dr. Martina Kadmon berichtet von ihren Erfahrungen.

Universitätschirurgie und Familie: Dr. Martina Kadmon berichtet von ihren Erfahrungen.

© Sven Hoppe

Ärztinnen machen in der Chirurgie selten Karriere. Warum dies so ist - in Heidelberg nimmt man dazu kein Blatt vor den Mund. Lösungswege werden angedacht.

"Dieser Job ist meine Leidenschaft, aber er lässt nur wenig Raum für Privates", sagt Privatdozentin Dr. Martina Kadmon. Die Oberärztin an der Chirurgischen Universitätsklinik in Heidelberg ist eine der wenigen Frauen, die es geschafft haben, sich in der akademischen Chirurgie an der Universität durchzubeißen.

Kadmon spricht über persönliche Hürden, die sie in den vergangenen 21 Jahren als Chirurgin nehmen musste. Die gebürtige Pfälzerin - verheiratet und mit einem Kind - will nichts schön reden.

Vor ihr im Großen Hörsaal der Chirurgie Heidelberg sitzen junge Medizinstudentinnen, Kolleginnen und vereinzelt auch ein paar Männer.

Zwölf bis 14 Stunden am Tag sind Normalität

Täglich zwölf bis 14 Stunden zu arbeiten, gehört an deutschen Universitätskliniken zum Alltag, wissen alle Anwesenden im Raum. Klinik, Lehre und Forschung fordern vollen Einsatz. Karriere zu machen und Führungspositionen zu übernehmen, ist das erklärte Ziel.

Acht Jahre benötigte Kadmon bis zum Facharzt. Auch bei ihren männlichen Kollegen geht das an der Uni nicht schneller. Der Kampf, um die für den Facharzt erforderlichen Operationszahlen zu bekommen, ist hart. Wissenschaftliche Publikationen werden quasi nach Feierabend produziert, der Unterricht für Studenten ist Pflicht.

"Bleibt die Universitäts-Chirurgie eine Männerdomäne?", heißt das Thema des Abends, der vom Deutschen Ärztinnenbund, dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der Uniklinik veranstaltet wird.

Kadmon berichtet: Mit Mitte 30 bekommt sie eine Tochter. Ein Jahr zuvor, 1996, hat sie die Gebietsbezeichnung "Fachärztin für Chirurgie" erlangt. Lange Arbeitszeiten machen ihr bis dato nichts aus. Jetzt denkt sie darüber plötzlich nach.

"Nur wenig Raum für Hobbys und Familie"

"Wer als Chirurg oder Chirurgin an einer Uniklinik Karriere machen möchte, hat nur wenig Raum für Hobbys, lange Urlaubs- oder Freizeitwünsche sowie für die Familie", warnt Professor Dr. Markus Büchler, der Ärztliche Direktor der Heidelberger Universitätschirurgie. Leidenschaft für den Job ist gefragt.

"Meine Tochter habe ich damals nur einmal am Tag gesehen, nämlich dann, wenn ich sie morgens in die Kinderbetreuung gebracht habe. Ansonsten hatten wir uns nur am Wochenende", berichtet Kadmon. Ihre persönliche Hürde damals wie heute: das schlechte Gewissen.

Ihre Tochter nehme es ihr zum Glück nicht krumm, erzählt sie weiter. Und dennoch: "Wenn Papa so viel unterwegs gewesen wäre wie du, dann wäre es für mich sehr schlimm gewesen", zitiert Kadmon ihre Tochter.

20.000 Chirurgen arbeiten nach Angaben der Bundesärztekammer (Stand Ende 2010) deutschlandweit - 3500 Ärztinnen sind darunter. Die meisten von ihnen operieren in Häusern der Grund- und Regelversorgung.

Hier kann man Berufs- und Familienleben besser in Einklang bringen. Anders als in diesen Kliniken werden Chirurgen an der Uniklinik dagegen gezielt auf Karriere getrimmt. Ziel ist es, Chefärzte, Ordinarien und Führungspersönlichkeiten heranzuziehen.

Ausstieg für zwei Jahre - das ist schwierig

"In der akademischen Chirurgie kann man nur schwer für ein bis zwei Jahre aussteigen, weil man ein Kind bekommt", sagt Chefarzt Professor Dr. Markus Büchler. "Man verpasst dann den Zug, die Männer sind währenddessen an einem vorbeigerauscht", setzt der Direktor des Chirurgischen Uniklinikums nach.

Sowohl in der Forschung als auch im Operationssaal, wenn es darum geht, das Handwerk Chirurgie zu perfektionieren, kann man seiner Ansicht nach nicht pausieren. Man verpasse einfach zu viel. Ziel eines Uniklinikums müsse es sein, den Patienten Versorgung auf hohem Niveau und auf der Basis der neuesten Forschungslage zu bieten.

Und noch etwas macht der Klinikchef klar: Um später einen Chefarztposten zu ergattern, muss man in der Regel an der Uni unter vollem Einsatz und der bisherigen Strukturen 15 Jahre investieren.

Frauen geraten seiner Meinung nach an ihre natürliche Grenze, wenn sie sich dabei für Kinder entscheiden. "Die Belastung ist dann zu groß", warnt er.

Vergleich mit Ballack

"Das ist ein wenig wie in der Fußball-Bundesliga", ergänzt Professor Dr. Rüdiger Siewert, Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg und verweist auf den Spieler Michael Ballack, der krankheitsbedingt ein Jahr ausfiel. Die jungen Mitspieler seien an Ballack vorbeigezogen und keiner brauche ihn mehr in der Bundesliga.

Siewert und Büchler sind sich einig: Es muss etwas passieren. Ohne Frauen in der Chirurgie werde es langfristig knapp. 70 Prozent der Medizinstudentinnen im ersten Semester sind Frauen.

"Wir müssen uns um die Frauen kümmern, sonst sind wir künftig gezwungen, die Kliniken um 50 Prozent zu reduzieren", sagt Siewert.

Zeitachse der Karriere verläuft bei Frauen anders

Erste Schritte sind unternommen: Eine Kommission überlegt bereits, was man an Arbeitszeitmodellen und flexibler Kinderbetreuung bieten kann.

Chirurgenchef Büchler schlägt vor, für Frauen die sogenannte "Lebenskarrierezeitachse" etwas zu strecken. "Die Demografie zwingt uns, umzudenken. Bei einer Bewerbungsliste um einen Führungsposten darf künftig ein 41-jähriger Mann nicht einer 46-jährigen Kollegin vorgezogen werden", sagt Büchler.

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