Hass ist der Feind des Friedens

Dr. Izzeldin Abuelaish war der erste palästinensische Arzt, der jemals an einem israelischen Krankenhaus arbeitete. 2009 töteten zwei israelische Granaten in Gaza drei seiner Töchter. Der Arzt entschloss sich, seine Botschaft in die Welt zu tragen: "Du sollst nicht hassen!"

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Engagement für ein friedliches Miteinander von Israelis und Palästinensern: Dr. Izzeldin Abuelaish.

Engagement für ein friedliches Miteinander von Israelis und Palästinensern: Dr. Izzeldin Abuelaish.

© Pete Smith

"Hass ist Gift, Hass ist eine Krankheit, die den zerstört, der Hass empfindet."

Der Mann auf dem Podium fährt fort, laut und erregt: "Als Arzt bin ich nicht berechtigt zu hassen, ich muss stärker sein, Hass ist der Feind des Friedens."

Im Saal ist es mucksmäuschenstill. Annähernd 100 Ärzte lauschen dem Vortrag ihres Kollegen, dessen Schicksal so manchen zu Tränen rührt.

Dr. Izzeldin Abuelaish spricht vom Tod seiner Kinder und dem Leben danach. "Frieden ist kein Wert an sich", sagt er, "Frieden ist ein Gefühl, Frieden ist Freiheit von Angst, Frieden ist eine Handlung. Handeln Sie, fangen Sie bei ihren Nachbarn an, Sie werden sehen, die Kreise werden rasch größer."

Seine Stimme wurde auch in Israel gehört

Zwei Momente in seinem Leben wird Izzeldin Abuelaish nie vergessen. Am 16. September 2008 um 15.45 Uhr starb seine Ehefrau Nadia, Mutter seiner acht Kinder, an Leukämie. "Ich dachte, das ist das Ende der Welt", sagte er kürzlich während seines Vortrags beim IPPNW-Kongress "Medizin und Gewissen".

Er berichtet, wie ihn seine Kinder beschworen, weiterzumachen. "Also habe ich weitergemacht". Vier Tage in der Woche arbeitete er wie gewohnt im Sheba Hospital in Tel Aviv, während sich Verwandte um seine Kinder daheim kümmerten.

Ständig trieb ihn die Sorge um, den Kindern könne im Gaza etwas passieren, denn die Spannungen zwischen Israel und den Palästinensern nahmen in den folgenden Monaten stetig zu. Als Reaktion auf den wiederholten Beschuss durch Kämpfer der Hamas startete Israel am 3. Januar 2009 eine Bodenoffensive in den Gaza-Streifen und verhängte gleichzeitig eine Nachrichtensperre.

Stimme des palästinensischen Arztes wurde auch in Israel gehört

Shlomi Eldar vom israelischen Fernsehsender Channel 10 bat seinen Freund Izzeldin Abuelaish, per Telefon täglich vom Überlebenskampf der Palästinenser zu berichten. Die Stimme des palästinensischen Arztes wurde auch in Israel gehört.

Izzeldin Abuelaish kam als ältestes von neun Kindern 1955 im Gaza-Flüchtlingslager von Jabaliya zur Welt. Seine einst wohlhabende Familie hatte nach der Gründung des Staates Israel 1948 ihr Heimatdorf nahe der heutigen israelischen Grenzstadt Sderot verlassen und im nahen Gaza Zuflucht gesucht. "Ich wurde in den Krieg hineingeboren", sagt Abuelaish, "mein Leben war Krieg."

Zusammengepfercht lebte die elfköpfige Familie in einem einzigen Raum, der Hunger war allgegenwärtig und die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Vor der Schule half Izzeldin mit Gelegenheitsjobs, den Lebensunterhalt der Familie zu verdienen.

Der Sechs-Tage-Krieg 1967 verschärfte die Situation, da Israel nun die vollständige Kontrolle über den Gaza-Streifen beanspruchte. Als Izzeldin 15 Jahre alt war, musste er mit ansehen, wie das Heim der Familie von Bulldozern platt gewalzt wurde.

Während sich sein Bruder politisierte und der Fatah von Jassir Arafat anschloss, arbeitete Izzeldin unermüdlich an der Erfüllung seines größten Traums: Arzt zu werden.

Zwei Granaten schlagen in Abuelaishs Wohnhaus

Ein Stipendium ermöglichte ihm schließlich ein Medizin-Studium an der Universität Kairo. Später ging er nach London, wo er seinen Facharzt in Gynäkologie und Geburtshilfe absolvierte, und an die Harvard-Universität in Cambridge, wo er ein Aufbaustudium mit dem Master in Gesundheitswissenschaften abschloss.

Als Mitarbeiter des Gertner-Instituts am Sheba Hospital in Tel Aviv war er der erste palästinensische Arzt in einem israelischen Krankenhaus.

Am 16. Januar 2009 um 16.45 Uhr schlagen zwei Granaten in Abuelaishs Wohnhaus in Gaza ein. Die erste trifft das Schlafzimmer der Kinder und tötet seine Töchter Bessan, Mayar und Aya sowie seine Nichte Noor. Durch die zweite Granate kommen Abulaishs Bruder Atta und dessen Tochter Ghaida ums Leben.

Überall liegen Menschen im Blut, Hilfe, so ist Abuelaish klar, ist nur in einem israelischen Krankenhaus möglich. In seiner Not ruft er seinen Freund Shlomi Eldar an, der gerade live auf Sendung ist und ein Interview mit der israelischen Außenministerin Tzipi Livni führen will. Instinktiv nimmt Eldar ab.

So können Millionen von Menschen Abuelaishs Klage hören, rausgeschrien in die Welt: "Sie haben mein Haus bombardiert. Sie haben meine Töchter getötet. Was haben wir getan?"

Abuelaish lebt inzwischen im kanadischen Toronto

Trotz seines Schmerzes hat Abuelaish da angeknüpft, wo er vor dem Tod seiner Töchter aufgehört hatte - als Botschafter des Friedens. "Wenn meine Töchter die letzten Opfer wären, könnte ich ihren Tod akzeptieren", sagt Abuelaish, der inzwischen mit seiner Familie in Toronto wohnt und an der Dalla Lana School of Public Health lehrt.

Im Gedenken an seine Töchter hat er die Stiftung "Daughters For Life" gegründet, die Gesundheits- und Bildungsprogramme für Mädchen im Nahen Osten verwirklicht.

Für sein Friedensengagement ist Izzeldin Abuelaish vielfach geehrt worden, 2010 und 2011 war er für den Friedensnobelpreis nominiert. "Ich werde niemals hassen", sagt der Palästinenser und zitiert aus dem Talmud: "Wer auch nur einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt."

Izzeldin Abuelaish: Du sollst nicht hassen. Meine Töchter starben, meine Hoffnung lebt weiter. Lübbe. Köln 2011. 249 Seiten. 19.99 Euro. Die Stiftung: www.daughtersforlife.com

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Koordinierende Versorgung als Ziel

Long-COVID-Richtlinie in Kraft - jetzt fehlt noch die Vergütung

Lesetipps
128. Deutscher Ärztetag in der Mainzer Rheingoldhalle.

© Rolf Schulten

Berufliche Qualifikation

Ärztetag fordert von der EU Priorität für Gesundheitsthemen