Wissenschaft

Die Macht der Berührung

"And when I touch you, I feel happy inside..." Das sangen einst die Beatles in ihrem berühmten Song "I want to hold your hand." Längst beschäftigt sich auch die Wissenschaft mit der Frage, was menschliche Berührungen bewirken - und kommt zu spannenden Ergebnissen.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Bereit für Berührungen - was sie bewirken, beschäftigt auch die Wissenschaft.

Bereit für Berührungen - was sie bewirken, beschäftigt auch die Wissenschaft.

© Illian

NEU-ISENBURG. Der französische Sozialpsychologe Nicolas Guéguen hatte einmal seine Assistenten angewiesen, über zwei Wochen hinweg diverse Nachtclubs zu besuchen.

Dort sollten sie 120 Frauen zum Tanzen auffordern und dabei die Hälfte von ihnen bei der Aufforderung für eine oder zwei Sekunden leicht am Arm berühren, die andere Hälfte nicht.

Es stellte sich heraus, dass die Frauen viel lieber mit zum Tanzen gingen, wenn sie bei der Bitte um den Tanz leicht berührt wurden. 65 Prozent ließen sich mit dieser Strategie auf die Tanzfläche locken.

Ohne Berührung gingen nur 43 Prozent mit. Funktioniert mit dieser Strategie das "Anbaggern" - um es salopp zu formulieren - leichter?

Das Feld der Berührungen ist weit. Auch Fernsehmoderatoren suchen zum Beispiel den Körperkontakt, wenn ein Mitglied der Diskussionsrunde aus dem Ruder läuft und sie das Heft wieder in die Hand nehmen wollen.

Forscher haben nachgezählt, wie oft sich die Fußballer bei der Weltmeisterschaft 1998 während des Turniers einander berührten. Das Ergebnis: Die französische Nationalmannschaft hatte überdurchschnittlich oft Körperkontakte - und wurde prompt Weltmeister.

Der feinste und älteste Sinn des Menschen

Kein Wunder, dass Menschen so sehr auf Berührungen reagieren. Der Tastsinn ist der "feinste und älteste Sinn des Menschen", erklärt Dr. Martin Grundwald.

Der Wissenschaftler betreibt das Haptik-Labor am Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung der Uni Leipzig.

"Wenn sie einen menschlichen Fötus von zweieinhalb Zentimetern Länge an den Lippen berühren, zeigt er eine starke Reaktion. Augen und Ohren sind in diesem Stadium dagegen noch gar nicht entwickelt."

Mit Millionen von berührungsempfindlichen Körpersensoren entscheidet der Mensch, was zu ihm gehört und was zur Außenwelt. "Der Mensch ist ein Tastsinnessystem", sagt Grundwald.

Die Rezeptoren geben Auskunft zum Beispiel über Druck, Vibration oder Schmerz und die Temperatur einer Berührung. Und Menschen legen beim Fühlen winzige Pausen von 50 bis 100 Millisekunden ein, hat Grunwald ermittelt, vielleicht um das Gefühlte zu speichern.

Beim Treppensteigen, Kartoffelschälen oder auch beim Schreiben koordinieren die Rezeptoren den Körper und seine Bewegungen und Empfindungen. "Selbst ein Einzeller kann schon per Tastsinn innen und außen unterscheiden. Ohne Tastsinn wären wir nicht lebendig."

In der Tat könne ein Kind blind, taub oder ohne Geschmackssinn zu Welt kommen, aber nicht ohne Tastsinn, sagt Grunwald. Später kann es weghören oder seine Augen verschließen und sich die Nase zuhalten.

"Aber gegen die Erfahrung von Berührung kann sich kein Mensch wehren." Berührungen führen zur Ausschüttung von Oxydozyn, dem Schmierstoff der sozialen Interaktion und dem Kuschelhormon Serotonin im Hirn und werden so zum Motor für die geistige-emotionale Entwicklung des Menschen, seiner Hirnentwicklung insgesamt.

"And when I touch you, I feel happy inside" sangen einst die Beatles in ihrem Ohrwurm "I want to hold your hand", eine Botschaft, die diese positiven Empfindungen auf den Punkt bringt.

Ein Handschlag zur Begrüßung

Wer allerdings zu wenig von den berühmten Wunderstoffen bekommt, dem droht Krankheit. Der Leipziger Forscher glaubt sogar, dass Magersucht in direktem Zusammenhang steht mit dem Erlebnis einer quasi körperlosen Erziehung.

Experimente haben gezeigt, dass man mit Verhandlungspartnern, die in weichen Sesseln sitzen, leichter zu Ergebnissen kommt, als mit solchen, die mit harten Stühlen vorlieb nehmen müssen, berichtet Grundwald.

"Fünfzig Prozent der Aggression gehen in die Polster. Ich war in Harward, da wird auf weichen Sesseln sehr entspannt diskutiert. Das spricht doch sehr für weiche Wartezimmerstühle!"

Berührung sei "Urkommunikation", bevor das erste Wort fällt. So könne ein Hausarzt, wenn er die Kraft der Berührung gezielt einsetze, "den physikalischen Status des Patienten verbessern, bevor er ihn überhaupt untersucht hat", ist Grunwald überzeugt.

Also: Ein Handschlag zur Begrüßung, vor der körperlichen Untersuchung kurz die Hände aneinander reiben, um sie zu wärmen, Verzicht auf ungemütliche Stühle und Anmeldetresen an denen man sich die Ellbogen stößt - schon fühlen sich Patienten besser, wenn ihnen jemand bei unangenehmen Untersuchungen die Hand hält, dann erst recht.

Der Sozialpsychologe Nicolas Guéguen hat sogar einen therapeutischen Nutzen der Berührung ausgemacht.

Er hat festgestellt, dass Patienten ihre Antibiotika dann regelmäßiger einnehmen, wenn der Hausarzt seine Patienten bei der Verordnung kurz am Arm berührt.

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