Lebenswandel

Einst Herzchirurg, jetzt Busfahrer

Er war einer der angesehensten Herzchirurgen der Schweiz und sitzt jetzt am Steuer eines Reisebusses: Dr. Markus Studer hat freiwillig vor zehn Jahren das Skalpell aus der Hand gegeben, um als Brummifahrer auf Achse zu sein. Sein altes Leben vermisst er nur manchmal.

Von Marion Lisson Veröffentlicht:
Bitte einsteigen! Markus Studer, früher Herzchirurg, ist heute mit einem Reisebus unterwegs.

Bitte einsteigen! Markus Studer, früher Herzchirurg, ist heute mit einem Reisebus unterwegs.

© privat

ZÜRICH/HEIDELBERG. Die Stimmung im Komfort-Reisebus könnte nicht besser sein. 40 Urlauber sind auf dem Weg nach Norwegen.

Die Fjorde im Süden sollen gegen Abend erreicht werden. Am Steuer sitzt Busfahrer Markus.

Was niemand weiß: Der freundlich ausschauende ältere Herr am Steuer trägt nicht nur einen Doktortitel vor seinem Namen. Er ist auch ein ehemals sehr angesehener Herzchirurg aus der Schweiz.

Aufgehört als Arzt hat Dr. Markus Studer vor zehn Jahren freiwillig. "Ich wollte nicht zu lange operieren - das ist nicht gut - weder für den Arzt noch für die Patienten", erzählt er.

Studer ist überzeugt: Gerade in der Chirurgie sollten Ärzte mit Mitte/Ende 50 das Skalpell aus der Hand legen. Er hat es jedenfalls nie bereut.

Mit seinem eigenen 40-Tonner auf den Straßen Europas unterwegs zu sein, fremde Länder zu sehen und Menschen kennen zu lernen, dies hat er trotz finanzieller Einbußen immer als persönlichen Luxus empfunden - auch wenn der Alltag eines Brummifahrers oftmals beschwerlich ist.

Seine Lieblingsplätze fand Studer an der Wanderdüne von Dünkirchen, am Hafen von Rotterdam oder an den Ufern von Rhein und Bodensee.

Der Arzt erfüllt sich einen Kindheitstraum

Einen Kindheitstraum habe er sich damit erfüllt, erzählt er. Autos, Busse, Trucks und Sattelschlepper hätten ihn schon als kleines Kind begeistert.

Dass er tatsächlich als "Meilenfresser" mit einem solchen Ungetüm unterwegs sein wird, dafür hat der spät berufene Berufsfahrer selbst gesorgt - mit akademischer Zielstrebigkeit.

Dabei war das Leben als Arzt angenehm. Auch privat lief für den Vater von drei Kindern alles bestens. 1975 hatte Studer in Schaffhausen seine Ausbildung zum Chirurgen gestartet. 1978 spezialisierte er sich am Universitätsspital Zürich auf den Bereich der Herzchirurgie.

Vier Jahre (1982 bis 1986) arbeitete er hier auch als Oberarzt, bevor er 1987 zusammen mit vier anderen Kollegen das erste private Herzzentrum der Schweiz in Zürich gründete.

"Das war klasse. Allerdings haben wir damals sicherlich nicht so viel unter den Bürokratieanforderungen der Krankenkassen zu leiden gehabt, wie dies heute der Fall ist", meint er.

Besonders Hausärzten gilt Studers aktuelles Mitgefühl. "Die sind zum Teil doch wirklich degradiert zu Politessen, die den Patienten nur noch den Weg zum Spezialisten zeigen müssen", schimpft er und fordert politische Veränderung - in der Schweiz und in Deutschland.

Als sozialen Abstieg hat der Schweizer seinen Berufswechsel nie betrachtet. "Viele haben so ein schreckliches Prestigedenken. Dabei werden manche Berufe völlig überschätzt", sagt er.

"Der Typ ist okay"

Ein Name, ein Truck: Erinnerung an die Zeit, als Dr. Markus Studer LKW-Fahrer war.

Ein Name, ein Truck: Erinnerung an die Zeit, als Dr. Markus Studer LKW-Fahrer war.

© privat

Standesdünkel und Vorurteile - damit kann Studer nichts anfangen. Für ihn zählt das Erlebte. Unter Fernfahrern gilt Kollege Markus als "gemütlicher Gesell".

In den Internetforen der Berufsfahrer ist man sich einig: "Studer kann man sorglos auf einer Raststätte ansprechen. Der Typ ist okay."

Studer ist ein Exot, keine Frage. Klar, dass der ehemalige Mediziner auch in Fernsehshows in Deutschland und der Schweiz ein gern gesehener Gast ist. Redakteure erzählen gerne von ihm.

Im Reisebus wird gerade auf den hinteren Reihen laut gelacht. Ein paar Mitreisende packen ihre selbstgeschmierten Brote aus. Auch vorne beim Fahrer riecht es jetzt nach Salami.

"Dieser Job erweitert meinen Horizont in vielerlei Hinsicht", sagt er lachend. Er fühlt sich unter eher einfachen Lebensumständen wohl, erzählt Studer.

Das hieße jedoch nicht, dass er nicht auch Luxus zu genießen wisse: "Ich schlafe gerne im LKW-Führerhaus, doch ein Fünf-Sterne-Hotel weiß ich ebenfalls zu schätzen."

Der Ausstieg Studers aus der Medizin war klar geplant und wurde zielstrebig umgesetzt. Im Jahr 2000 - quasi auf dem Höhepunkt seiner Karriere - die Kinder waren bereits erwachsen - den LKW-Führerschein und erlangte die EU-Transportlizenz.

Gleichzeitig trat Studer bereits den Berufsverbänden Routiers Suisse und ASTAG bei und baute Kontakte zu potenziellen Auftraggebern auf.

2002 legte der Mediziner sein Skalpell für immer aus der Hand und stieg in das Führerhaus seines 460 PS starken, topmodernen Mercedes-Trucks. Er gründete 2003 gemeinsam mit einem Bekannten das Logistikunternehmen Bopp&Studer.

Fast zehn Jahre lang transportierte er flüssige Lebensmittel wie zum Beispiel Speiseöl, Fruchtsaft oder Kakaobutter zwischen Zürich, Hamburg, Rotterdam, Luxemburg und gelegentlich Valencia.

Vor zwei Monaten wurde die Firma verkauft

"Das war eine tolle Zeit. Glauben Sie mir, der Wechsel von der Medizin ins Transportwesen ist mir nicht schwer gefallen. Viel schlimmer war es, als ich vor zwei Monaten meinen Truck verkauft und meine Firma aufgelöst habe", erzählt er offen.

Wirtschaftliche Gründe seien ausschlaggebend gewesen. Die Öffnung Europas zum Osten hin, drücke die Preise im Transportwesen, erzählt er. "Ich will nicht zu Bedingungen und Konditionen fahren, die andere sich nicht leisten können", sagt Studer.

Doch unterwegs sein will er immer noch. Er ist jetzt nicht mehr selbständig, sondern bei einem Reiseunternehmen angestellt. Das sei ihm mit 66 Jahren lieber so, sagt Studer.

Als Busfahrer lernt er auf seinen Reisen nun den Norden Europas kennen. "Das ist super interessant, da bin ich nämlich auf meinen LKW-Touren nicht gewesen", freut er sich.

Und das will etwas heißen: Seit Frühjahr 2012 hat Studer nämlich eine Million gefahrene Kilometer vorzuweisen. Damit hat er quasi 25 Mal die Erde umrundet.

Mehr zum Thema

Vor dem World Health Assembly

WHO-Pandemieabkommen noch lange nicht konsensfähig

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

NHANES-Analyse

Bei Hörminderung: Hörgeräteträger leben länger

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen

Lesetipps
Neue Hoffnung für Patienten mit Glioblastom: In zwei Pilotstudien mit zwei unterschiedlichen CAR-T-Zelltherapien blieb die Erkrankung bei einigen Patienten über mehrere Monate hinweg stabil. (Symbolbild)

© Richman Photo / stock.adobe.com

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert