Krieg in Syrien

Chemie als Waffe

Noch fehlen Beweise, doch für die Staaten des Westens steht fest: Im syrischen Bürgerkrieg ist Giftgas eingesetzt worden. Von Zivilisationsbruch ist die Rede. Der hat allerdings auch in westlichen Kulturen Tradition.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Das Foto zeigt Tote nach einem angeblichen Giftgas-Angriff der Regierungstruppen in Syrien. Verbreitet wurde das Bild vom Lokalen Komitee der Stadt Arbeen am 21. August. An diesem Tag waren binnen drei Stunden etwa 3600 Patienten mit neurotoxischen Symptomen in drei Krankenhäuser der Region Damaskus eingeliefert worden, berichtet "Ärzte ohne Grenzen".

Das Foto zeigt Tote nach einem angeblichen Giftgas-Angriff der Regierungstruppen in Syrien. Verbreitet wurde das Bild vom Lokalen Komitee der Stadt Arbeen am 21. August. An diesem Tag waren binnen drei Stunden etwa 3600 Patienten mit neurotoxischen Symptomen in drei Krankenhäuser der Region Damaskus eingeliefert worden, berichtet "Ärzte ohne Grenzen".

© Local Committee of Arbeen / epa / dpa

MÜNCHEN. Am Anfang war das Chlorgas. 150 Tonnen der Substanz blies die deutsche Armee im Ersten Weltkrieg bei Ypern in die Schützengräben französischer Soldaten. Der erste Giftgasangriff in großem Stil kostete zwischen 1200 und 5000 Menschen das Leben, 3000 bis 10.000 wurden verletzt.

Damit war das Gas als Kriegswaffe etabliert, chemische Kampfstoffe fehlten später in keinem Arsenal. Die Steigerung der Kriegsgräuel, die dies mit sich brachte, wurde den Deutschen zugerechnet: Nicht zuletzt wegen ihres Gaseinsatzes galten sie fortan als militaristische Monster.

Ähnliche Monster sehen westliche Politiker knapp 100 Jahre nach Ypern in der syrischen Staatsführung um Präsident Baschar al-Assad am Werk. Vermutet wird, dass die syrische Armee am 21. August Vororte von Damaskus mit Giftgas angegriffen hat.

Wer das Gas einsetzte, ob Regierung oder Rebellen, ist noch nicht erwiesen. Dass chemische Waffen benutzt wurden, gilt aber als sicher. Die "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) berichten, in einem Zeitraum von weniger als drei Stunden seien rund 3600 Patienten mit neurotoxischen Symptomen in drei Krankenhäuser im Gouvernement Damaskus eingeliefert worden. 355 von ihnen seien gestorben. Andere Meldungen gehen von mehr als 1700 Toten und 6000 Verletzten aus.

Nervengifte sind wahrscheinlich

Die Patienten zeigten den Angaben nach neurotoxische Symptome wie Krämpfe, Hypersalivation, verengte Pupillen und Atemnot. Behandelt wurden sie gemäß MSF-Angaben mit großen Mengen Atropin. Auch wenn über die Art des Giftes noch spekuliert wird, spricht daher einiges dafür, dass es sich um Nervenkampfstoffe gehandelt hat - um Organophosphate mithin.

Aus den Aufzeichnungen von GlobalSecurity.org, einer laut eigenen Angaben unabhängigen US-Denkfabrik für die Analyse sicherheitspolitischer Themen, ist Syrien einer der größten Produzenten von Phosphaten in der Region.

Es ist laut GlobalSecurity.org vorstellbar, dass diese Phosphate für die Herstellung von Massenvernichtungswaffen verwendet werden. Laut GlobalSecurity.org ist unter anderem bei der Stadt Hama im Westen des Landes eine Chemiewaffenfabrik angesiedelt.

Dort sollen neben dem binären Nervenkampfstoff VX auch Sarin und Tabun produziert werden. Das syrische Potenzial, chemische Waffen herzustellen, wird auf einige hundert Tonnen pro Jahr geschätzt.

Alle Nervenkampfstoffe hemmen die Acetylcholinesterase. Die Abfolge der Symptome hängt laut einer Aufstellung der "Federation of American Scientists" (FAS) - einer Forschervereinigung, die auf den humanen Gebrauch von Wissenschaft und Technik zielt - von der Art der Aufnahme ab.

Werden die Gifte inhaliert, manifestiert sich die Vergiftung zuerst im Respirationstrakt als Brustenge. Wird das Gift hingegen geschluckt, stehen zunächst gastrointestinale Beschwerden im Vordergrund.

Aber auch über die Haut und die Augen kann das Nervengas resorbiert werden. Während die Aufnahme letaler Dosen über die Augen praktisch sofort tödlich wirkt, können beim Eindringen durch die Haut je nach Substanz zwei Stunden vergehen, bis der Tod eintritt.

Antidote sichern Überleben nicht

Wie immer die Nervenkampfstoffe in den Körper gelangen, sie finden rasch den Weg in die systemische Zirkulation. Die exzessiv gesteigerte Konzentration von Acetylcholin ist verantwortlich für die Symptome. Mitbetroffen sind daher die cholinergen Nervenenden der glatten Muskulatur an Iris und Ziliarkörper, im Bronchialbaum, Gastrointestinaltrakt und an den Blutgefäßen, am Herzmuskel und an den Schweißdrüsen.

Bei schwerer Exposition überwiegen die kardiovaskulären Symptome, generalisierte Muskelzuckungen kommen hinzu. Die allgemeine Muskelschwäche betrifft auch die Atemmuskulatur. Atemstillstand ist die häufigste Todesursache.

Als Antidote gegen Vergiftungen mit Nervenkampfstoffen nennen Lehrbücher der Toxikologie Atropin, aber auch Oxime, die in gewissem Maß die Acetylcholinesterase reaktivieren können. Das Überleben ist damit aber keineswegs gesichert. Denn die Monster schlafen nicht.

VX etwa ist so konstruiert, dass es sich ionisch an die Acetylcholinesterase bindet. Die Oximtherapie bleibt damit wirkungslos.

Wegen der schlechten Therapierbarkeit von Vergiftungen mit Nervenkampfstoffen wird mitunter eine Pyridostigmin-Prophylaxe praktiziert: Durch die reversible Blockierung von rund einem Drittel der Cholinesteraseaktivität lässt sich ein Teil der Enzyme vor der Reaktion mit Organophosphaten bewahren.

Den Deutschen ist ihr Gaskrieg bekanntlich übel bekommen. Für das syrische Regime gilt nach Lage der Dinge wohl Gleiches.

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