Kampf gegen Strongyloides

Gustavo besiegt die Zwergfadenwürmer

Für einen kleinen Jungen aus Kolumbien beginnt vor acht Jahren in Deutschland zusammen mit seinen Adoptiveltern ein neues Leben. Doch die Freude ist getrübt. Der Junge leidet an einer schweren Wurmerkrankung.

Von Johanna Dielmann von Berg Veröffentlicht:
Gustavo (15) will Fußballer werden. Als Kind hatte er sich mit Spul- und Zwergfadenwürmern infiziert, was beinahe unentdeckt geblieben wäre.

Gustavo (15) will Fußballer werden. Als Kind hatte er sich mit Spul- und Zwergfadenwürmern infiziert, was beinahe unentdeckt geblieben wäre.

© Dielmann-von Berg

EDESHEIM. Geschickt balanciert Gustavo den Fußball auf dem Spann seines linken Fußes. Verpasst der Kugel einen sanften Kick. Umkreist sie mit dem Bein und fängt sie mit der Fußspitze wieder auf, bevor sie auf dem Boden landet.

Schnell hüpft der Ball nun abwechselnd vom linken zum rechten Fuß und zurück. Der 15-Jährige jongliert mit dem Leder, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Sein sehniger Körper zeichnet sich unter einem leuchtend orangen Fußballtrikot ab. Weder seine durchtrainierte Statur noch seine flinken Bewegungen lassen heute darauf schließen, dass er einmal sehr krank war.

Rückblick, 13. Oktober 2005: Bernhard und Martina Rudy sind aufgeregt. Nach gut drei Jahren Wartezeit sollen sie ihren Adoptivsohn zum ersten Mal sehen. Die Fahrt ins Städtchen Soccoro in den nördlichen Kordilleren Kolumbiens war eine Tortur.

Drei Stunden Serpentinen in einem kleinen Renault und das bei tropischen Temperaturen. Doch alle Anstrengung hat sich gelohnt. Bernhard und Martina öffnen die Tür eines winzigen Büros. Dort an der Hand einer Kindergärtnerin steht der kleine Gustavo mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht.

"Medizinische Zeitbombe"

Sofort krabbelt der gut sieben Jahre alte Junge auf den Schoß seines neuen Vaters, kuschelt mit dem mitgebrachten Bären. "Nichts deutete darauf hin, welche medizinische Zeitbombe unser Sohn in sich trug", erinnert sich Adoptivvater Bernhard.

Lediglich die schmächtige Figur und ein etwas aufgeblähter Bauch fallen auf. Auch der medizinische Bericht für die Adoption weist auf nichts Bedenkliches hin. Doch schon am nächsten Morgen wird das Familienglück getrübt.

Die Familie wohnt bis zum Rückflug nach Deutschland zwei Wochen in einem Hotel in Bucamaranga. Am ersten Morgen ruft Gustavo seinen Vater ins Badezimmer. Schüchtern steht der Siebenjährige mit herabgelassener Hose vor der Toilettenschüssel. Er deutet erst in die Schüssel, dann auf seinen Po.

"Ich konnte es nicht glauben, in der Schüssel kringelte sich ein weißer Wurm, ähnlich einem Regenwurm", sagt Bernhard. "So lang." Seine Daumenspitzen berühren sich, während er erzählt. Daumen und Zeigefinger an jeder Hand formen ein L. Sein Sohn habe ihm damals gesagt, das sei normal, er habe die Würmer schon immer gehabt.

Der Hotelarzt stellt Spulwurmbefall fest. Weltweit sind geschätzt eine Milliarde Menschen davon betroffen. Die etwa bleistiftdicken Würmer werden gut 20 Zentimeter lang. Das Ehepaar Rudy lernt, dass vor allem Kinder sich meist durch unsaubere Nahrungsmittel oder beim Spielen mit verschmutzter Erde anstecken.

Denn die Eier werden mit dem Stuhl aus dem Darm ausgeschieden. Die Larven durchdringen die Darmwand und können so auch in Leber, Herz und Lunge gelangen. Im Darm können sich die Würmer zu einem Knäuel ballen und einen Darmverschluss verursachen.

In Kolumbien werden Gustavo und seine Eltern mit dem Anthelminthikum Pyrantel behandelt. Gustavo wiederholt die Wurmkur noch zweimal in Deutschland. Sichtbar deutet nichts mehr auf den Wurmbefall hin, aber der Schein trügt.

Im Mai 2006 stellt die Kinderärztin bei Gustavo immer noch extrem erhöhte Werte bei eosinophilen Granulozyten und dem Antikörper Immunglobulin E fest. Gustavo unterzieht sich daher noch einmal der gleichen Behandlung - doch die Werte bleiben unverändert. Die Ärztin vermutet eine Allergie, die aber nicht vorliegt.

Erst ein weiteres Jahr später rät eine befreundete Ärztin den Eltern, Gustavo beim Tropeninstitut in Heidelberg vorzustellen. Schnell bestätigt sich der Verdacht der Spezialisten: Zwergfadenwürmer, strongyloides. Sie dringen durch die nackten Fußsohlen in die Haut ein und verteilen sich ebenfalls über das Blut im ganzen Körper.

Gustavo läuft immer noch barfuß

Sie werden im Darm lediglich bis zu 0,7 Millimeter lang und bleiben daher für das menschliche Auge unsichtbar. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge bleiben sie oft unentdeckt. Kommen eine schwere Infektion und ein geschwächtes Immunsystem zusammen, können Zwergfadenwürmer sogar lebensbedrohlich sein.

Die Heidelberger Ärzte verschreiben dem inzwischen achtjährigen Gustavo Ivermectin, gängig sind auch Mebendazol und Tiabendazol. Schon kurz darauf haben sich die Werte des Jungen normalisiert.

Die Erkrankung seines Sohns hat Adoptivvater Bernhard alarmiert: Er will auf die Wurminfektionen bei Kindern aufmerksam machen. "Wer Kinder zum Beispiel aus Südamerika adoptiert, sollte wissen, dass dort Wurminfektionen sehr verbreitet sind", sagt er.

Auch Ärzte sollten bei Kindern aus Südamerika oder Asien für deren spezielle Parasiten-Erkrankungen sensibilisiert werden, wünscht sich die Familie. Denn ohne den Spulwurmbefall wären die Zwergfadenwürmer bei Gustavo vielleicht bis heute unbehandelt geblieben und hätten seine Lebenserwartung verkürzen oder sogar zum Tod führen können.

Deshalb sollten Blutuntersuchungen auf eosinophile Granulozyten bei diesen Kindern als Standard bei der Erstuntersuchung vorgenommen werden, schlägt Bernhard vor.

An die schwierige Anfangszeit der Familie erinnern heute nur noch Kleinigkeiten. So läuft Gustavo immer noch gerne barfuß, egal ob draußen oder im Haus. Auch zum Fußballspielen braucht er zu Hause keine Schuhe. Sein Blick ist nach vorne gerichtet, Fußballprofi will er einmal werden. "Auch dritte Liga wäre ok, Hauptsache Profi", sagt Gustavo.

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