Prokrastination

Hilfe für chronische Aufschieberitis

Prokrastinierer schieben alles auf die lange Bank - mit nicht selten fatalen Folgen. Oft sind Studenten betroffen. Jetzt bekommen sie online Hilfe, um ihr Problem in den Griff zu bekommen.

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Das Smartphone wird anderen Aufgaben gerne vorgezogen.

Das Smartphone wird anderen Aufgaben gerne vorgezogen.

© Robert Kneschke / fotolia.com

KARLSRUHE/MÜNSTER. Küche putzen, Mails checken, noch einmal kurz bei Facebook oder Twitter schauen - das sind die Klassiker, wenn es darum geht, sich vor dringenden Arbeiten zu drücken.

An der Universität scheint es ein Massenleiden zu sein: Aufschieberitis gedeiht an Orten ohne feste Strukturen und vorgegebene Arbeitszeiten besonders gut.

An den Hochschulen gibt es immer mehr Kurse, Hilfsprogramme und Infoveranstaltungen zum Thema Prokrastination, so der Fachbegriff: Frankfurt, Gießen Darmstadt, Berlin, Oldenburg, Köln und viele andere Unis bieten Beratungen und Seminare. Rund 40 Unis beteiligten sich an der "langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten".

Neuestes Angebot: Ein Onlinekurs des Karlsruher Instituts für Technologie, der Menschen aus ganz Deutschland offen steht. Die bisherigen Anti-Aufschieberitis-Kurse der Hochschule waren nämlich so überlaufen, dass regelmäßig nur ein Viertel der Interessenten teilnehmen konnte.

Deshalb hat Eliane Dominok vom Lehrstuhl für Angewandte Psychologie das Verhaltenstraining in einen offenen Onlinekurs für Jedermann (Mooc) gepackt.

 Das elfwöchige Programm besteht aus kurzen Lehrvideos, Quizfragen, Beispielen und Online-Foren, die mit konkreten Handlungsaufträgen kombiniert werden.

Pathologisches Aufschiebeverhalten

Dass Studierende besonders häufig zu den Menschen zählen, die wichtige Aufgaben verschieben, erklärt Dominok mit den großen Freiräumen, die eine Universität bietet.

Bei Befragungen unter US-amerikanischen Collegestudenten bezeichneten sich bis zu 75 Prozent der jungen Leute als Aufschieber. Fast jeder zweite gab an, deshalb schon einmal Schwierigkeiten im Studium gehabt zu haben.

Nach Umfragen an der Uni Münster litten etwa zehn Prozent der Studierenden unter pathologischem Aufschiebeverhalten. Für Wissenschaftler gibt es keine Untersuchungen.

Eliane Dominok geht aber davon aus, dass die Werte zumindest im Mittelbau ähnlich sind.

Es geht nicht um Faulheit

Freilich gibt es auch viele Aufschieber, die davon überzeugt sind, dass sie den Druck und die Nachtschichten brauchen, um effektiv arbeiten zu können. Hauptkriterium für Dominok ist daher der persönliche Leidensdruck der Betroffenen.

Zudem wird das Aufschieben problematisch, wenn wichtige Termine verpasst werden sowie das Scheitern in Studium und Beruf droht.

Mit Faulheit ist das Problem aber nicht zu verwechseln: "Es handelt sich um eine ernsthafte Arbeitsstörung", so Dominok.

Im Unterschied zu Menschen, die angesichts der Fülle an Arbeit nur abwägen, welche Aufgabe zuerst erledigt werden muss, denkt der Prokrastinierer darüber nach, was er jetzt lieber machen würde. Und da kann selbst Fensterputzen attraktiver als die Arbeit am Schreibtisch werden.

Die Universität Münster hat Deutschlands einzige Prokrastinations-Ambulanz eingerichtet. Seit 2004 wurden hier rund 700 Betroffene behandelt, denen in Einzel- oder Gruppenberatungen Strategien gegen das Aufschieben vermittelt werden.

Was hilft? In Münsteraner Ambulanz erarbeiten sich die Betroffenen Rituale, um zu einem fest gelegten Zeitpunkt pünktlich mit der Arbeit zu beginnen. Das sind kurze Tätigkeiten wie einmal Durchlüften oder Kaffee kochen , die als Signal für den Arbeitsstart gelten.

Wichtig sind zudem eine klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit sowie realistische Lernpläne. "Die meisten neigen dazu, sich zu viel vorzunehmen", berichtet Diplom-Psychologin Julia Elen Haferkamp.

Deshalb müssen die Studierenden genau protokollieren, wie lange sie tatsächlich gearbeitet und wie viel sie dabei geschafft haben.

Bei den hartnäckigen Fällen hat die Ambulanz viel Erfolg mit einer scheinbar paradoxen Anweisung: Die Betroffenen dürfen zunächst nur zweimal pro Tag 20 Minuten arbeiten.

Nur, wenn ihnen das gut gelungen ist, dürfen sie von Tag zu Tag zehn Minuten länger arbeiten. "Das klappt", berichtet Haferkamp: "Dann wird die Zeit auf einmal wieder kostbar." (coo)

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