Unvernünftig

Mehr Angst vor Terror als vor Fritten

Völlig irrational: Überzogene Angst vor Terror, aber bedenkenloser Umgang mit Alltagsrisiken. Die Menschen fürchten das, was sie nicht steuern können, berichtet Risikoforscher Heilmann im Interview. Sie gehen aber sorglos mit der eigenen Gesundheit um.

Von Friederike Krieger Veröffentlicht:
Viele Menschen haben Angst vor Terroranschlägen, aber sie fürchten nicht die Folgen einer schlechten Ernährung.

Viele Menschen haben Angst vor Terroranschlägen, aber sie fürchten nicht die Folgen einer schlechten Ernährung.

© [M] Terrir: kiono / fotolia.com | Pommes: Quade / fotolia.com

Ärzte Zeitung: Professor Heilmann, für den Versicherer Canada Life haben Sie zusammen mit TNS Emnid eine Bevölkerungsbefragung zum Risikobewusstsein der Deutschen durchgeführt. Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse?

Professor Klaus Heilmann

Mehr Angst vor Terror als vor Fritten

© Privat

Jahrgang 1937, war Professor der Medizin an der TU München sowie Gastprofessor an Universitäten in den USA.

Er veröffentlichte über 30 Fachbücher.

Er gilt als Experte für Risikokommunikation und hat zahlreiche Unternehmen, unter anderem der Pharmaindustrie, Verbände und Organisationen beraten.

Professor Klaus Heilmann: Dinge, die hierzulande relativ selten vorkommen wie Terroranschläge oder Flugzeugabstürze werden außerordentlich stark gefürchtet. Das liegt daran, dass sehr regelmäßig über sie berichtet wird. Zu den unterschätzten Risiken zählen Krankheiten und Risiken der individuellen Lebensführung.

Woran liegt das?

Heilmann: Mit Krankheiten wollen die Menschen nichts zu tun haben. Das schiebt man von sich weg. Das ist bei Männern sehr viel stärker ausgeprägt als bei Frauen. Deswegen gehen Männer auch seltener zu Vorsorgeuntersuchungen.

Auch Risiken der Lebensführung wie vorzeitiger Tod durch schlechte Ernährung, Rauchen, Bewegungsmangel oder Alkoholkonsum wollen die meisten am liebsten ausblenden. Dabei sind das nicht nur die allergrößten Risiken, denen wir uns aussetzen, sondern auch die Gefahren, die wir selbst am stärksten beeinflussen können.

Welche Krankheiten werden am realistischsten eingeschätzt?

Heilmann: Was mich am meisten verwundert hat, ist die Einschätzung der Wahrscheinlichkeiten, an Multipler Sklerose und Parkinson zu erkranken. Obwohl diese Erkrankungen relativ selten sind, werden sie vergleichsweise realistisch eingeschätzt.

Die Befragten sind hier relativ nah dran, während so bekannte Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs stark unterschätzt werden.

Ein Thema, das heiß diskutiert wird, ist die Impfmüdigkeit. Geht es hier auch um eine falsche Risikowahrnehmung?

Heilmann: Ja, natürlich. Dadurch, dass es viele Infektionskrankheiten in ihrer schrecklichen Form gar nicht mehr gibt, haben die Menschen keinen Bezug mehr dazu.

Wenn heute nach wie vor die Kinderlähmung grassieren würde und verkrüppelte Kinder über die Straße geführt würden, dann hätten wir keine Diskussion über die Notwendigkeit einer Schluckimpfung gegen Kinderlähmung.

Aber in der aktuellen Situation ist es wahnsinnig schwierig, den Leuten beizubringen, dass Infektionskrankheiten wie die Masern noch nicht ausgerottet und gefährlich sind.

Brauchen wir eine Impfpflicht?

Heilmann: Es gibt ein Für und Wider. Ich persönlich bin dafür, dass nicht alle Risiken durch den Staat reguliert werden, sondern dass der Einzelne einen Bezug dazu bekommt und eigene Verantwortung entwickelt. Ein Beispiel dafür ist der Sicherheitsgurt im Auto. Es gibt keinen Zweifel, dass die Einführung dieses Gurtes unendlich viel Positives bewirkt hat.

Aber ich wäre glücklicher, wenn der Einzelne ihn nicht deshalb anlegt, weil es Pflicht ist, sondern aus Einsicht. Der Unterschied zu den Impfungen: Wenn man den Sicherheitsgurt nicht anlegt, schädigt man nur sich selbst. Ganz anders ist das Problem bei den Impfungen.

Zum einen geht es um Minderjährige, die den Eltern anvertraut sind. Gleichzeitig sind nicht geimpfte Kinder eine Gefahrenquelle für andere Kinder.

Warum schätzen wir viele Dinge so dramatisch falsch ein?

Heilmann: Der Bezug zum Risiko ist von Mensch zu Mensch völlig unterschiedlich. Risikowahrnehmung ist eine emotionale Angelegenheit, die weniger auf Fakten beruht, sondern auf den eigenen Erfahrungen.

Es gibt ein ganzes Spektrum an Gründen, warum der Einzelne ein bestimmtes Risikoverhalten entwickelt. Deswegen kann man mit rationalen Maßnahmen sehr wenig machen.

Aber Sie plädieren doch dafür, die Bevölkerung besser über Risiken aufzuklären. Macht das denn überhaupt Sinn, wenn man die Einstellung nicht ändern kann?

Heilmann: Es steht zwar fest, dass die die Einstellung zum Risiko von persönlichen Empfindungen und Wahrnehmungen geleitet wird und es deswegen so schwierig ist, allen in der Bevölkerung ein vernünftiges Risikoverhalten beizubringen.

Man sollte dennoch versuchen, die Menschen aufzuklären.

Wie kann man hier ansetzen?

Heilmann: Indem man aufzeigt, was vernünftig und was unvernünftig ist. Eine 40-jährige Frau beispielsweise, die die Pille nimmt und raucht, aber nicht in ein Flugzeug einsteigt, weil sie Angst vor dem Fliegen hat, sollte man darauf hinweisen, dass ihr Verhalten nicht rational ist.

Denn die Risiken, die sie durch Pilleneinnahme und Rauchen in ihrem Alter freiwillig auf sich nimmt, sind so viel gravierender als die Gefahr eines Flugzeugabsturzes. Sie läuft Gefahr, eine Thrombose zu erleiden.

Bei der Präsentation der Studie hatten Sie betont, dass Sie auch Ärzte in der Pflicht sehen, die Menschen über Risiken zu informieren. Wie gut kommen Ärzte dieser Pflicht nach?

Heilmann: Viele Ärzte zeigen kaum eine Tendenz aufzuklären. Dabei könnte man damit so viel erreichen. Es ist leider in der Schulmedizin in Vergessenheit geraten, dass der Arzt Ohren und einen Mund hat, also zuhören und etwas erklären kann.

Das ist ja das Geheimnis von Naturheilpraktikern. Sie gehen psychologisch ganz anders mit einem Kranken um, nehmen sich Zeit, hören ihm zu, sprechen mit ihm.

Ganz anders ist es bei Schulmedizinern: Wenn man schon bezüglich der konkreten Krankheit, wegen der der Patient zu einem kommt, nicht dazu tendiert aufzuklären, dann fürchte ich, dass von einem Gespräch über Risiken auch nicht sehr viel zu erwarten ist.

Warum so pessimistisch?

Heilmann: Ich habe vor einiger Zeit eine Studie gemacht, die einen katastrophalen Stand der Aufklärung über das Zusammenspiel von Rauchen und Pille gezeigt hat.

Da gab es einen ganz großen Prozentsatz von Frauen, die nie von ihrem Arzt gehört hatten, dass da Zusammenhänge und damit Risiken bestehen. Das sind die simpelsten Dinge der Aufklärung, die da unterlassen worden sind.

Woran hapert es bei den Ärzten? Ist es Einstellungssache, ist es Zeitdruck?

Heilmann: Natürlich ist es auch der Zeitdruck. Wenn man bedenkt, wie viele Patienten Ärzte pro Stunde durchschleusen müssen, dann bleibt da nicht viel Zeit übrig. Das Gespräch spielt keine große Rolle mehr in der Gebührenordnung, es wird kaum bezahlt. Das System hat sich grundlegend geändert.

Das betrifft auch die ärztliche Ausbildung. Bei den Studenten läuft ja alles auf diese Multiple Choice-Fragen hinaus.

Da gibt es kaum mehr die Lehre am Krankenbett, bei der es darum geht, das Gespräch zu lernen und zu schauen, was man schon mit bloßen Auge erkennen kann. Heute dreht sich alles um Geräte. Über die machen sich auch Patienten große Illusionen.

Welche denn?

Heilmann: Viele Patienten glauben, dass das Gerät das Objektive ist und das, was der Arzt früher gemacht hat, das Subjektive. Sie glauben, dass die scheinbar objektive Erhebung eines Befundes durch ein medizinisches Gerät viel verlässlicher ist.

Dass diese Maschinen in gar keiner Weise objektiv sind, wissen die wenigsten. Denn das Ergebnis hängt davon ab, ob der Arzt sie richtig anwendet und das Ergebnis richtig beurteilen kann.

Wie hat das Wissen um Risiken ihr Leben beeinflusst?

Heilmann: Ich werde oft gefragt, ob ich ein ängstlicher Mensch bin. Dann sage ich nein, ich bin ein vorsichtiger Mensch. Vorsicht ist aber das Ergebnis von Ängsten, die ich selber durchgemacht habe, entweder weil ich mich theoretisch mit den Gefahren beschäftigt habe oder ihnen selbst ausgesetzt war.

Ich habe früher 40 Zigaretten am Tag geraucht und bin ziemlich sicher, dass ich heute nicht mehr leben würde, wenn ich mich nicht eines Tages entschlossen hätte, dies aufzugeben.

Lesen Sie dazu auch: Psychologe berichtet: So lässt sich Flugangst überwinden

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

ARE in Grafiken

RKI: Grippewelle deutet sich an

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Kommentare
Claus F. Dieterle 05.06.201514:51 Uhr

Als Christ...

achte ich auf eine gesunde Lebensweise, da mein Körper Tempel des Heiligen Geistes ist (1.Krorinther 6,19). Und unbegründete Ängste muss ich nicht haben:
Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Ängstlichkeit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und Besonnenheit.
2.Timotheus 1,7

Dr. Wolfgang P. Bayerl 05.06.201511:13 Uhr

Es gibt nicht "den Schulmediziner", lieber Professor Heilmann!

Sie können z.B. den niedergelassenen Einzelkämpfer-Hausarzt nicht mit einem "Schräubchen im Getriebe" eines Großklinikums vergleicht, ein Getriebe an dem auch viele Nichtmediziner drehen, wie sie richtig bemerkt haben.
Und wenn ich höre, es läge am Dr., dass der arme Bürger nicht weis, das Rauchen schädlich ist und eine Schwangere kein Alkohol trinken darf,
kann ich wirklich nur den Kopf schütteln.

Sonderberichte zum Thema
7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

© Vink Fan / stock.adobe.com

Aktive schubförmige Multiple Sklerose

7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg

ADHS im Erwachsenenalter

Wechseljahre und ADHS: Einfluss hormoneller Veränderungen auf Symptomatik und Diagnose

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

© Dr_Microbe / stock.adobe.com

Entwicklungen in der Therapie neuromuskulärer Erkrankungen

Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Nachgefragt bei Kammern und KVen

Dass Behandlungen abgelehnt werden, kommt selten vor

Zwei Phase-III-Studien gescheitert

Semaglutid wirkt nicht gegen Alzheimer

Lesetipps
Fünf Menschen im Wartezimmer.

© Tyler Olson / stock.adobe.com

Einteilung in fünf Gruppen

Diabetes: Risiken für Komorbiditäten vom Subtyp abhängig

Warnschild Grippewelle

© nmann77 / stock.adobe.com

ARE in Grafiken

RKI: Grippewelle deutet sich an