Leitartikel zum Doping im Leistungssport

Wie lange wollen wir noch zuschauen?

Es ist eine Tragödie, die immer wieder aufgeführt wird. Helden fallen, weil sie des Betrugs überführt werden. Mitleid können sie nicht erwarten, denn die Zuschauer haben die Achtung verloren. Verlierer sind Sportler, die ehrlich kämpfen wollen.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Usain Bolt, Tyson Gay und Asafa Powell (v.r.) beim Wettkampf. Powell und Gay gehören nun zu den gefallenen Helden.

Usain Bolt, Tyson Gay und Asafa Powell (v.r.) beim Wettkampf. Powell und Gay gehören nun zu den gefallenen Helden.

© Nietfeld / dpa

Ben Johnson, Katrin Krabbe, Marion Jones, Linford Christie, Justin Gatlin, Tyson Gay - die Liste jener Sprintstars, die des Dopings überführt oder verdächtig sind, ließe sich beliebig fortsetzen.

Und doch erleben wir jede neue Meldung, die vom Sturz eines unserer Helden kündet, wie einen Stich ins Herz. Tatsächlich vollzieht sich auf der Bühne des Sports eine wiederkehrende Tragödie.

Charakteristisch für die Tragödie ist ein schicksalhafter Konflikt, das Scheitern des Helden darin ist unausweichlich. Letztlich, so lehrt uns bereits das antike Theater, ist es stets die Hybris des Menschen, die eine Katastrophe bewirkt.

Aktuell heißen die Protagonisten des Trauerspiels Tyson Gay, Asafa Powell und Sherone Simpson. Andere haben sich längst dem Rampenlicht entzogen.

265 Leichtathleten gesperrt oder suspendiert

Die International Association of Athletics Federations (IAAF), der Dachverband der nationalen Leichtathletik-Verbände, führt derzeit 265 Sportler in ihren Listen, die einer positiven Dopingprobe wegen suspendiert oder gesperrt worden sind.

Von den zehn schnellsten Männern aller Zeiten ist der derzeitige Weltrekordhalter Usain Bolt aus Jamaikader einzige, der nie positiv getestet oder durch zweifelsfreie Indizien belastet worden ist.

Im Radsport sieht es ähnlich aus. Ob Lance Armstrong oder Jan Ullrich, Alberto Contador, Joop Zoetemelk oder Jacques Anquetil - es gibt kaum einen Sieger der Tour de France, der später nicht des Dopings überführt oder der Manipulation verdächtigt wurde.

Die Geschichte des Sports kennt tragische Helden wie den Langläufer Dieter Baumann (Zahnpasta-Affäre), kaltblütige wie den hartnäckigen Leugner Lance Armstrong und dummdreiste Helden wie den Ausnahmefußballer Diego Armando Maradona, der vier Jahre nach seiner Kokain-Affäre erneut der Einnahme leistungssteigernder Substanzen überführt wurde.

Der schicksalhafte Konflikt, in den viele Sporthelden geraten, liegt, wie es scheint, im Leistungssystem begründet. Je besser Athleten sind, desto mehr Aufmerksamkeit wird ihnen zuteil, desto höher ihr Marktwert, desto größer ihr Verdienst (und der Verdienst ihrer Verbände und Sponsoren).

Letztlich ist es der schwache Charakter eines Helden, der seinen tiefen Fall bewirkt. Nicht jeder große Sportler schließt einen Pakt mit dem Teufel. Zumindest wollen wir das glauben.

"Blut ist ein ganz besondrer Saft", sagt Mephistopheles zu Faust und fordert ihn auf, ihr Bündnis mit seinem Blut zu besiegeln. Das gilt auch für unsere moderne Helden. Sie geben ihr Blut, weil ihnen der Geist der Versuchung die Erfüllung all ihrer Wünsche verspricht: Ruhm und Ehre, Macht und Geld.

Für die kurzfristige Befriedigung ihrer Sehnsüchte geben sie ihre Seele her und nehmen die spätere Verachtung der Massen in Kauf. Oder wie Faust sagt: "Werd' ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehen!"

Die Dramaturgie des medial inszenierten Trauerspiels ist immer dieselbe: Ein Athlet wird auf dem Höhepunkt seiner Karriere der unerlaubten Leistungssteigerung überführt und leugnet seine Schuld.

Keine Furcht, kein Mitleid mehr

Im Fall der jamaikanischen Sprinter Powell und Simpson, beide positiv auf das Stimulans Oxilofrin getestet, wird der Fitnesstrainer beschuldigt, seinen Schützlingen verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel verabreicht zu haben.

Der US-Amerikaner Tyson Gay, der in diesem Jahr die weltweit schnellsten Zeiten über 100 und 200 Meter gelaufen ist, gab kurz nach Veröffentlichung seiner positiven Dopingprobe an, er "habe jemandem vertraut", der ihn "im Stich gelassen" habe.

Andere führen Sabotage, Laborfehler oder Unkenntnis ins Feld. Dennoch ist ihr Scheitern zwangsläufig. Selbst wer die Kontrolleure Zeit seiner Laufbahn narrt, kann sich aufgrund der verfeinerten Messmethoden nie sicher sein, doch noch vom Podest gestürzt zu werden.

Und wir, die Zuschauer, die wir den tragischenFall unseres Helden wieder und wieder erleben? Erfüllt uns sein Schicksal noch immer mit Furcht und Mitleid, wie die aristotelische Poetik lehrt?

Das wohl kaum. Furcht und Mitleid setzen Achtung voraus, aber die haben wir längst verloren - zum Nachteil jener, die sich dem Teufelspakt beharrlich verweigern, was möglicherweise die eigentliche Tragik ist.

Solange Doping die Bestenlisten bestimmt, stehen wir selbst vor einer faustischen Entscheidung: Sehen wir weiter zu oder entsagen wir dem Theater?

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