Arbeitsminister Blüm setzt auf Politik der Verschiebebahnhöfe

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Oktober 1982: Ärzte wollen der neuen Bundesregierung den Sanierungskurs der öffentlichen Haushalte erleichtern. Doch schon bald fühlen sie sich vom neuen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm düpiert. Der strebt eine Sanierungspolitik auf Kosten der Kassen an.

Bonn, 13. Oktober 1982. Bundeskanzler Helmut Kohl gibt seine erste Regierungserklärung ab. Die Hinterlassenschaft der 13jährigen sozialliberalen Ära ist ein Desaster: Über zwei Millionen Menschen (8,4 Prozent) sind arbeitslos, mehr Arbeitslose gab es nur im Februar 1950. Die Wirtschaftsleistung sinkt, die Inflation liegt bei 5,8 Prozent, die Sozialversicherungen schreiben Defizite.

Auszüge aus Kohl Regierungserklärung, so wie sie die "Ärzte Zeitung" damals dokumentiert hat:

Honorarpause: "Es ist unerlässlich, dass auch Ärzte, Zahnärzte, die pharmazeutische Industrie und Krankenhäuser mit den Versicherten selbst ihren Beitrag zur Begrenzung des Kostenanstiegs leisten."

Krankenversicherung: "Zur Begrenzung des Kostenanstiegs... wird die Bundesregierung die Eigenbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt auf 14 Tage erweitern."

Vertrauensärztlicher Dienst: "Die Überprüfung von Krankschreibung muss durch die Stärkung des Vertrauensärztlichen Dienstes verbessert werden. Wer krank feiert, ohne krank zu sein, handelt unsolidarisch. Wer einen anderen krank schreibt, obwohl dieser nicht krank ist, der beteiligt sich an der Ausbeutung des Systems.

Beteiligung der Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung

Rentner-Krankenversicherung: "Die sich abzeichnende Finanzlage der Rentenversicherung macht es erforderlich, dass die Beteiligung der Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung in den nächsten zwei Jahren um jeweils zwei weitere Prozentpunkte angehoben wird."

Wichtige Organisationen der Ärzteschaft, allen voran Hartmannbund und KBV, waren bemüht, der neuen Bundesregierung den Sanierungskurs der öffentlichen Haushalte zu erleichtern. Die Kassenärzte boten Bundesarbeitsminister Norbert Blüm an, ihr Honorar für das erste Halbjahr 1983 einzufrieren.

Wenige Tage später begann Blüm eine Politik der Verschiebebahnhöfe unter den Sozialkassen. Die Rentenversicherung zahlte 1,3 Milliarden Euro weniger an die GKV. Das Defizit in der Arbeitslosenversicherung sollte dadurch gemildert werden, dass die an die Rentenversicherung zu zahlenden Beiträge nicht mehr am letzten Arbeitslohn, sondern am Arbeitslosengeld orientiert wurden.

Es war das erste Mal, dass die Ärzte sich von Blüm düpiert fühlten: Sie fürchteten, dass Blüm eine Sanierungspolitik auf Kosten der Krankenversicherung betrieb - und damit auch auf Kosten der Ärzte. (HL)

Die Herz-Jesu-Sozialisten

Norbert Blüm und Heiner Geißler waren im Kabinett Kohl die beiden für Gesundheitspolitik verantwortlichen Minister. Blüm, gelernter Werkzeugmacher und promovierter Philosoph als Arbeitsminister mit Zuständigkeit für die Krankenversicherung, Geißler als Gesundheitsminister mit Ressorterfahrung in Rheinland-Pfalz.

Als Chef der CDU-Sozialausschüsse gehörte Blüm dem linken Flügel an. Für Gesundheitspolitik hatte der IG-Metaller nur ein begrenztes Verständnis und überließ sie seinen Ministerialdirektoren.

Auch Geißler kümmerte sich um sein Ressort eher mit der linken Hand: Der Jurist, der mal Jesuit werden wollte, war lieber Generalsekretär (1977 bis 1989) und entwickelte sich später zu einem der schärfsten innerparteilichen Kritiker Kohls.

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