Klinikum Aachen: Denkmal fortschrittsgläubiger Epoche

Das Klinikum Aachen, das wohl größte Krankenhaus in Europa, wird im Frühjahr 1984 fertiggestellt. Es wird zum Sinnbild einer industrialisierten Medizin, ein Bekenntnis zum technischen Fortschritt.

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Sinnbild für industrialisierte Medizin: das Klinikum der RWTH Aachen.

Sinnbild für industrialisierte Medizin: das Klinikum der RWTH Aachen.

© Marco Stepniak / imago

Aachen, April 1984. Nach zwölfjähriger Bauzeit ist das Klinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen fertiggestellt.

Es wird Gegenstand eines Untersuchungsausschusses des nordrhein-westfälischen Landtags und eines andauernden Streits um die Finanzierung und die ausgeuferten Kosten zwischen der Düsseldorfer Landesregierung und der Bundesregierung.

Am 3. April 1984 berichtete die "Ärzte Zeitung": "Grobe Fehler, Verstöße und Versäumnisse bei der Planung, Durchführung und Leitung des Projekts sind für die Kostensteigerung von im Jahr 1970 geplanten 630 Millionen DM auf bislang geschätzten 1,7 bis 2,3 Milliarden DM ursächlich, so der Bundesrechnungshof. Grobe Fahrlässigkeit und Pflichtwidrigkeit wird der Düsseldorfer Landesregierung vorgeworfen."

Der Glaube an das technisch Machbare

Das Klinikum Aachen - knapp 1300 Betten, 4600 Vollkräfte, 33 Kliniken, 25 Institute, 45.000 stationäre und 225.000 ambulante Patienten pro Jahr - ist das Sinnbild einer industrialisierten Medizin, die der optimistischen und technik-euphorischen Grundstimmung der 1960er Jahre entsprungen war.

Den Wirtschaftswunderjahren folgte der Glaube an das technisch Machbare - gerade auch in der Medizin. Insbesondere die an das Pariser Centre Pompidou angelehnte Architektur des Klinikums war ein Bekenntnis zur Technik und zur Industrie.

Das Klinikum Aachen zeigte aber schon in der Planungs- und Bauphase die Grenzen für Größen und Komplexitäten von Krankenhausbauten auf. Nach Gründung der Medizinischen Fakultät an der RWTH im Jahr 1967 startete die Planung für das Klinikum zwei Jahre später.

Die Neue Heimat Städtebau unterbreitete ein Angebot im Volumen von 552 Millionen DM. Bereits ein Jahr später hat das Kostenvolumen fast 700 Millionen DM erreicht.

Nach einem Terminplan von 1971 sollte das neue Klinikum 1976 fertiggestellt sein. Im September 1971 starteten die Bauarbeiten, gut zwei Jahre später fand das Richtfest statt.

Bauzeit verdoppelt, Kosten verdreifacht

Dann aber begannen die Probleme. Die Neue Heimat Städtebau arbeitete mit einer "Synchron-Planung", bei der parallel gebaut und geplant wurde.

Das sollte es ermöglichen, stets den neuesten Stand der Technik und der Bauvorschriften aktuell bei der Baurealisierung zu berücksichtigen. Angesichts der Komplexität versagte aber die Synchronisierung unter den vielen Beteiligten.

Umbauwünsche der Nutzer, Änderung von baurechtlichen Vorschriften, Änderungen an der komplexen Klimaanlage, Reparaturen wegen Senkschäden - das alles führte zu Verzögerungen und Verteuerungen.

Erst 1982 konnten Forschung und Lehre in das teilweise fertiggestellte Projekt einziehen, ab Dezember 1983 wurden die ersten Patienten aufgenommen. Sukzessive lief die Aufnahme von Patienten an.

Nie wieder wurde seitdem in Deutschland ein solcher Klinik-Gigant gebaut. Aber Aachen hat Architektur- und Medizingeschichte geschrieben. Es ist das Denkmal einer fortschrittsgläubigen Epoche. (HL)

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