Hunger nach Information: Die "Ärzte Zeitung" kommt in die DDR

Die offene Grenze zwischen beiden deutschen Staaten bedeutete auch Freiheit für Informationen. Eine Herausforderung für die Redaktion der "Ärzte Zeitung". Schon im März 1990 erscheint die erste DDR-Ausgabe.

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Helmut Laschet, stellvertretender Chefredakteur der "Ärzte Zeitung", verteilt vor dem Gewandhaus in Leipzig die erste Nummer der DDR-Ausgabe.

Helmut Laschet, stellvertretender Chefredakteur der "Ärzte Zeitung", verteilt vor dem Gewandhaus in Leipzig die erste Nummer der DDR-Ausgabe.

© Ärzte Zeitung

Leipzig, 9. März 1990. Die erste DDR-Ausgabe der "Ärzte Zeitung" erscheint. Sie ist das ungeplante und überraschende Ergebnis einer rasanten Entwicklung, die noch im gleichen Jahr in die deutsche Einheit mündet.

Vor allem ist die DDR-Ausgabe der "Ärzte Zeitung" die journalistische Antwort auf einen über Jahrzehnte ungestillten Hunger der Bürger und vor allem auch der Ärzte nach unabhängiger Information.

Dieses Informationsbedürfnis versuchten Anfang des Jahres 1990 westdeutsche Ärzteverbände bei Veranstaltungen in Ost-Berlin, Dresden oder Leipzig zu stillen.

Für Mitte Februar plante der Hartmannbund ein Symposion, zu dem nach Angaben des Verbandsgeschäftsführers Klaus Nöldner bis zu 3000 Ärzte erwartet wurden.

Die Redaktion reagierte sofort und bereitete Sonderseiten mit einem Vergleich der Gesundheitssysteme von DDR und Bundesrepublik vor. 3000 Exemplare wurden nach Leipzig gebracht - mit dem Angebot an Ärzte, die "Ärzte Zeitung" im Frei-Abonnement zu beziehen.

Die Reaktion war überwältigend. Binnen zwei Wochen gingen im Verlag 7000 Bestellungen ein.

Die Initiative der Redaktion drohte das Unternehmen wirtschaftlich zu überrollen: durch zusätzliche Druckkosten und extrem aufwendigen Streifband-Versand der Zeitung in die DDR. Das Management war entsetzt.

Aber: Die Redaktion hatte Tatsachen geschaffen und bei ihren Lesern in der DDR Erwartungen geweckt, die nicht enttäuscht werden sollten.

Aus der Not wurde die DDR-Ausgabe der "Ärzte Zeitung" als eine eigenständige, zunächst etwas unregelmäßig erscheinende Zeitung geboren.

Hohe Leserakzeptanz

Inhalt der ersten Ausgabe: Soll das westdeutsche Krankenversicherungssystem von der DDR übernommen werden? Der zuständige Abteilungsleiter im Bundesarbeitsministerium, Karl Jung, plädiert (noch) für eine Politik der kleinen Schritte.

Welche Optionen der Niederlassung in eigener Praxis gibt es in der DDR? Wie ist die Selbstverwaltung der Ärzte in der Bundesrepublik organisiert und welche Rolle spielen freie Verbände? Vorberichterstattung auf die eine Woche später stattfindenden ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer.

Schließlich: ein ausführliches Interview mit dem letzten SED-Gesundheitsminister Professor Klaus Thielmann. Mit einem Eingeständnis des Scheiterns. Ein Auszug:

Frage: "Wenn man einen Strich macht, was die SED mit diesem Staat gemacht hat, dann kann man sagen, dass diese Partei eine kriminelle Vereinigung gewesen ist. Empfinden Sie Scham?"

Thielmanns Antwort: "Es ist vieles an Glauben, an Vertrauen der Menschen missbraucht worden. Das ist das Schlimme, das macht mich beschämt."

Noch im gleichen Jahr verschwindet die DDR. Am 1. Januar 1991 kommt die GKV West in die neuen Bundesländer. Ärzte und ihre Patienten bekommen Zugang zum Welt-Arzneimittelmarkt.

Aus der DDR-Ausgabe der "Ärzte Zeitung", die sich in den ersten zehn Monaten wirtschaftlich nur knapp über Wasser gehalten hatte, wird ein großer wirtschaftlicher Erfolg. Das frühe Engagement der Redaktion schlägt sich noch heute in überdurchschnittlicher Leserakzeptanz nieder. (HL)

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