Die Positivliste - ein Zombie

Bei SPD und Bündnisgrünen ist sie ein arzneimittelpolitisches Lieblingsprojekt, in vielen anderen europäischen Ländern gesundheitspolitische Realität: die Positivliste für Arzneimittel. Teile der Industrie fürchten sie wie Dracula - und wie der kann auch die Liste nicht sterben.

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Bonn, im Mai 1995. Es war ein politisches Symbol und ein Affront mit Langzeit-Wirkung: Just zum 60. Geburtstag überreicht Gesundheits-Staatssekretär Baldur Wagner dem Vorsitzenden des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, Professor Hans Rüdiger Vogel die Arzneimittel-Positivliste - zu Konfetti geschreddert.

Die Positivliste war eine Bedingung der SPD für ihre Zustimmung zum 1993 in Kraft getretenen Gesundheits-Strukturgesetz (GSG).

Ein von Ärzten und Arzneimittel-Spezialisten der Krankenkassen besetztes Institut hatte den gesetzlichen Auftrag, diejenigen Arzneimittel zu definieren, die Inhalt der Positivliste und damit in der Leistungspflicht der GKV bleiben sollten.

Den Vorschlag des Instituts sollte die Bundesregierung als Rechtsverordnung in Kraft setzen.

Im Januar 1995 ist das Institut mit seinen Vorarbeiten fertig und legt einen Entwurf dem Bundesgesundheitsministerium vor.

Dieser Entwurf löst sogar bei den Positivlisten-Protagonisten in der SPD ablehnende Reaktionen hervor, weil sich die Sachverständigen von Ärzten und Kassen auf ein ausgesprochen enges Listen-Konzept kapriziert hatten, mit dem Arzneimittel in Milliarden-Wert aus der GKV-Erstattung ausgegrenzt worden wären.

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Lohmann, bezeichnet den Entwurf als "groben Unfug". "Solch ein Unfug wird mit uns auch dann nicht umgesetzt, wenn er im Konsens beschlossen worden ist".

Erst tot, dann wiederbelebt

Die Liste gefährde die Versorgungsqualität, bringe den Krankenkassen wegen der Substitutionseffekte keine Entlastung, gefährde aber Arbeitsplätze und den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Lohmann sowie seine Kollegen Wolfgang Zöller (CSU) und Dieter Thomae (FDP) läuten das Ende der Liste ein. Die Unionsfraktion beantragt im Bundestag, die Positivliste aus dem Gesetz zu streichen.

Die SPD schäumt und wirft der Koalition "Wortbruch" vor. Komme die Liste nicht, dann könne Seehofer einen Konsens bei der nächsten Gesundheitsreform abschreiben.

Als Anfang April das Listen-Institut beginnt, den Listen-Entwurf breit zu streuen, reagiert Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer mit aller Härte. Befürchtet wird, dass Ärzte sich den Entwurf in vorauseilendem Gehorsam zu eigen machen und ihre Verordnungen danach ausrichten.

Als erstes streicht Seehofer dem Institut die Geldmittel. Anfang Mai kündigt er eine Gesetzesinitiative an, mit der die Positivliste faktisch tot ist. Ende November wird das vom Bundestag mit der Koalitionsmehrheit so beschlossen.

Tot war die Liste trotzdem nicht: Mit der Gesundheitsreform 2000 versuchte Rot-Grün die Wiederbelebung. Aber auch die scheiterte. Was bleibt, das ist ein Zombie in der Gesundheitspolitik. (HL)

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