Mit 120 Windeln und 80 Inkontinenzeinlagen zurück in die Heimat

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:

Nicht jeder gut gemeinte Ratschlag für das angemessene Verhalten im Ausland garantiert eine entspannten Urlaub. Das mußten 57 Urlauber zweier Busreisegruppen aus Dresden und Hamburg in Litauen am eigenen Leib erfahren.

Sie hatten sich in Rußland durch verdorbenes Essen mit Salmonellen infiziert und mußten per Charterflugzeug nach Deutschland zurückgebracht werden. Organisiert wurde der Rücktransport durch das Assistance-Unternehmen Mercur und dessen ärztliche Leiterin Dr. Christine Wehrhahn.

Urlauber folgten Empfehlung, Teller immer leer zu essen

"Die Leute hatten in einem Reiseführer gelesen, daß sie sich den Gepflogenheiten des Gastlandes anpassen sollten", schildert Wehrhahn den Hintergrund der Salmonellenerkrankung. "Eine Empfehlung lautete, den Teller immer leer zu essen, da sich die meisten Einheimischen und auch das Hotelpersonal weder eine Übernachtung, geschweige denn ein Essen im Hotel leisten könnten. An diese Empfehlung hielt sich die Gruppe dann auch."

Das galt offensichtlich selbst für die gekochten, grün schimmernden Eier in einem russischen Hotel. Auf der Weiterreise in Litauen traten die ersten Symptome auf, nach und nach erkrankten die Dresdner. Eine Frau mußte nach dem ersten Durchfall gar reanimiert werden und lag einen Tag mit schweren Bewußtseinsstörungen auf einer Intensivstation. Die anderen 40 Reisenden wurden in einem Hotel in Klaipeda untergebracht. Fast zeitgleich erging es 16 Hamburgern auf ihrer Reise nicht besser. Auch sie erkrankten an Salmonellose. Für sie hatte die Reise in Wilnius ein Ende.

Mercur, das für Reiseversicherer wie Elvia oder die Europäische Reiseversicherung medizinische Rücktransporte vornimmt, entschied sich für eine Rückholung aller Kranken per Flieger. Doch schon die Suche nach einem geeigneten Flugzeug gestaltete sich als äußerst schwierig.

Zum einen mußte es über Dreiersitzreihen und hochklappbare Armlehnen verfügen, damit Patienten auch liegend transportiert werden konnten. Zum anderen zogen viele Gesellschaften ihre Angebote in dem Augenblick zurück, als sie von der heiklen Mission erfuhren, berichtet Wehrhahn. Schließlich konnte die Gesellschaft eine 100-sitzige British Aerospace BAe 146-300 chartern. Wehrhahn: "Wir waren froh, überhaupt ein Flugzeug zu bekommen."

Auch über die Schwere der Symptome war keine seriöse Vorhersage möglich, erinnert sich die Ärztin - zu unterschiedlich waren die Krankheitsverläufe der älteren Urlauber. Manch einer von ihnen, der zunächst noch kaum Symptome hatte, erkrankte plötzlich schwer, während andere schon auf dem Weg der Besserung waren.

Christine Wehrhahn entschied sich daher für das denkbar heikelste Szenario: eine gleichzeitige schwere Salmonellose aller Reisenden während des Rückflugs. Mit im Gepäck der Helfer: 120 Erwachsenen-Windeln und 80 Inkontinenz-Einlagen sowie medizinisches Gerät. "Im Flugzeug hätte jeder Reisende nur fünf Minuten Zeit für die Toilette gehabt. Das war in dieser Situation zu wenig", umschreibt Wehrhahn die prekäre Lage.

Patienten hatten Angst, nicht mitfliegen zu dürfen

Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, flogen die Ärztin und ihr Team nach Klaipeda. Im Hotel klärte die Medizinerin die Patienten über den geplanten Transport auf. "Die Erkrankten wollten unbedingt nach Hause und hatten Angst, wegen Vorerkrankungen eventuell nicht mitfliegen zu dürfen", berichtet sie. "Manch einem mußte man die Anamnese aus der Nase ziehen."

Am nächsten Tag ging es für die 46 Dresdner und für die 16 Hamburger - sie stiegen in Wilnius zu - per Flieger in ihre Heimatstädte. Für die Reisenden dürfte dabei die Betreuung durch die Stewardessen einmalig gewesen sein: Diese waren in OP-Kleidung und Handschuhen zum Flug angetreten.

Während die Hamburger in Begleitung einer weiteren Ärztin weiterflogen, blieb für Wehrhahn in Dresden nur noch die Überleitung der Erkrankten in drei Krankenhäuser zur Untersuchung. "Ich habe schon vieles erlebt. Aber mit einem Bus voller Patienten bin ich noch nie vor ein Krankenhaus vorgefahren", sagt Wehrhahn.

Während in zwei Kliniken alles wie vorab vereinbart über die Bühne gegangen sei und die Patienten zur Untersuchung aufgenommen wurden, habe ein anderes Krankenhaus trotz Absprache zunächst die Aufnahme einer weiteren Gruppe verweigert, berichtet die Ärztin. Sogar von der Ausrufung des Katastrophenalarms sei die Rede gewesen. Erst der eindringliche Hinweis, daß einige Patienten im 40 Grad heißen Bus kollabieren könnten, habe das Krankenhaus zur Aufnahme der Patienten veranlaßt, so Wehrhahn.

Eier haben weder verdorben geschmeckt noch gerochen

Einen Vorwurf kann man der Reisegruppe nach den Worten Christine Wehrhahns übrigens nicht machen: "Selbst frische Eier können sich leicht verfärben", nimmt sie die Reisenden in Schutz. Diese hätten berichtet, daß die grünen Hotel-Eier weder verdorben geschmeckt noch gerochen hätten.

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